Handchir Mikrochir Plast Chir 2000; 32(5): 328-332
DOI: 10.1055/s-2000-10943-2
Kommentar

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar zur Arbeit von B. Bader und F. Grill: Die Ulnaverlängerung beim Osteochondrom (multiple kartilaginäre Exostosen) am Unterarm

D. Buck-Gramcko
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Publication Date:
29 April 2004 (online)

Die meisten Publikationen über multiple kartilaginäre Exostosen im 19. und den ersten Dreivierteln des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich mit Fallbeschreibungen und Diskussionen über die Pathogenese. Berichte über Behandlungsmaßnahmen mit Ausnahme der Erwähnung einer Exzision der Osteochondrome folgten erst relativ spät und wechselten in den empfohlenen Methoden entsprechend der Weiterentwicklung der Chirurgie und insbesondere der Osteosynthese-Verfahren. Die Indikationen wurden dementsprechend erweitert und umfassten nicht nur die Tumorentfernung, sondern Geradestellungen abgeschrägter Gelenkflächen, Korrekturosteotomien gekrümmter und Verlängerungen verkürzter Knochen. Alle diese Verfahren kommen am Unterarm zur Anwendung.

So wurde zuerst eine halbseitige Epiphyseodese empfohlen (Siffert und Levy 1965[20]), so wie sie auch in der vorangehenden Arbeit in der Abbildung 6 mit einem hervorragenden Ergebnis gezeigt wird. Während die Achsenkorrekturen des gekrümmten Radius durch Keilosteotomie und Plattenfixation, die bereits 1972[3] von Blauth und mit Schneider-Sickert 1976[4] dargestellt wurde, eine gute Prognose aufweisen, ist das Gegenteil bei der Behandlung der Radiuskopfluxation der Fall. Ist eine solche erst einmal eingetreten, so gelingt es auch heutzutage noch nicht, sie dauerhaft zu beseitigen. Selbst wenn man durch Distraktion einen Längenausgleich erreicht und eine Rekonstruktion des Lig. anulare vornimmt, kommt es auch nach Keilosteotomie am Hals zur erneuten Verrenkung, da die Form des Radiuskopfes erheblich verändert ist und keine kongruenten Gelenkflächen mit dem Humerusköpfchen mehr bestehen. Als letzte Möglichkeit bei deutlicher Deformierung des Ellenbogenbereiches wurde deshalb auch schon eine Resektion des Speichenkopfes vorgenommen. Auch wenn eine bleibende Reposition nicht möglich ist, können durch eine Distraktion subjektive Beschwerden und die Deformierung des Ellenbogenbereiches verringert werden, so dass dieser „Nebeneffekt“ einer Verlängerung des ganzen Unterarmes sehr willkommen ist.

Eine Verlängerung der durch die tumorbedingte Wachstumsstörung und eventuell durch Resektion verkürzten Elle kann durch verschiedene Verfahren erreicht werden. Die zu kommentierende Arbeit beschäftigt sich mit der modernsten Methode, der Distraktionsverlängerung mit äußerem Fixateur. Eine Verlängerung ist jedoch auch als einzeitiges Verfahren möglich. Die hierbei vorgenommene Osteotomie kann entweder querverlaufend im oder am Rande des Osteochondroms (nach dessen Entfernung) oder Z-förmig proximal desselben liegen (Blauth 1972[3], Dal Monte und Mitarb. 1980[9], Fogel und Mitarb. 1984[10], Wood und Mitarb. 1985[22], Pritchett 1986[17], Masada und Mitarb. 1989[14], Peterson 1994[16], Jiya und Mitarb. 1997[13]). Der nach der Osteochondrom-Entfernung noch vorhandene distale Ellenteil wird mobilisiert und durch vorsichtiges Spreizen des Osteotomie-Spaltes nach distal verschoben. Eine derartige Verschiebung lässt sich meist mühelos durchführen, da die straffe Membrana interossea durch die Tumordarstellung bereits im distalen Abschnitt größtenteils abgelöst werden muss und der Bandapparat des distalen Radioulnargelenkes überdehnt ist. Es lässt sich eine Verlängerung zwischen 10 und 25 mm erreichen, wobei eine leichte Überkorrektur am Handgelenk angestrebt wird. In den Osteotomie-Spalt wird ein entsprechend zubereiteter Darmbeinspan mit doppelter Kortikalis eingesetzt beziehungsweise bei Z-förmiger Verlängerung Spongiosa angelagert. Die Fixation erfolgt je nach Stabilität entweder mit einer Platte (Abb. [1] und [3]), mit einem kräftigen Kirschner-Draht oder Rush pin (Abb. [2]), bei Z-förmiger Verlängerung mit mehreren Schrauben. Eine Kombination mit einer Radiuskorrekturosteotomie oder einer Epiphyseodese ist sehr häufig. Da das Osteosynthesematerial wieder entfernt werden muss, sind insgesamt zwei Operationen erforderlich.

Abb. 1 a - d Das „normale“ Röntgenbild drei Monate nach der Geburt verführte zur Annahme einer nicht vererbten Erkrankung trotz familiärer Anamnese (a), so dass erst sieben Jahre später die dann klinisch bemerkbaren kartilaginären Exostosen radiologisch bestätigt wurden (b).

Im einzeitigen Verfahren erfolgten die Osteochondrom-Entfernung und Verlängerung der Ulna mit Darmbeinspan-Interposition und Plattenfixation (c). Infolge intakter Epiphysenfuge blieb der erreichte Längenausgleich der Ulna über (mindestens) fünf Jahre erhalten (d).

Abb. 3 a - f Fortgeschrittene Veränderungen bei kartilaginären Exostosen mit Wachstumshemmung der Ulna, Krümmung und Abschrägung der distalen Gelenkfläche des Radius und Verrenkung seines Kopfes (a). Zustand nach einzeitiger Ulnaverlängerung mit Darmbeinspan-Interposition nach Entfernung des Osteochondroms und Achsenkorrektur des Radius (b). Abgeschlossene Knochenheilung vor Entfernung des Osteosynthesematerials bei gutem Längenausgleich (c). Dreieinhalb Jahre später erneute Ellenverkürzung durch deren Wachstumshemmung und geschädigte Epiphyse (d). Erneute Ellenverlängerung durch Kallusdistraktion mit Distalverschiebung des Radius (e). Ergebnis 14 Monate später (f).

Abb. 2 a - d Typische Unterarmdeformierung durch kartilaginäre Exostosen mit Osteochondrom an der distalen Elle, deutlicher Verkürzung der Elle, Krümmung des Radius und Abschrägung seiner distalen Gelenkfläche (a). Korrektur durch Entfernung des Tumors, einzeitige Verlängerung der Elle mit Darmbeinspan-Interposition und Kirschner-Drahtfixation sowie Achsenkorrektur am Radius (b). Zustand zweieinviertel Jahre später mit vermindertem Wachstum der Ulna (c), das in den folgenden Jahren bei nicht wahrgenommenen Nachuntersuchungsterminen zur Luxation des Radiuskopfes führte (d, Röntgenbild von November 1993).

Auch bei der Distraktionsverlängerung gibt es zwei Variationen: Die Kallus-Distraktion und das Einsetzen eines Knochenspanes am Ende der Distraktionsphase. Der Unterschied liegt unter anderem in der Dauer des Tragens des Distraktionsapparates. Beide Methoden wurden auch in der Behandlung von kartilaginären Exostosen angewandt (Dal Monte und Mitarb. 1980[9], Irani und Mitarb. 1982[11], Pritchett 1986[17], Cheng 1991[8], Peterson 1994[16], Paley und Herzenberg 1998[15]). Die Autoren berichteten dabei über Verlängerungen von 1,2 bis 4,0 cm bei einer Gesamtbehandlungsdauer von 16 bis 22 Wochen (Cheng 1991[8]). Bei einer Knochenspan-Übertragung nach Distraktion sind einschließlich der Plattenentfernung drei Operationen erforderlich.

Eine außergewöhnliche und sicher selten, wenn überhaupt indizierte Behandlungsmethode ist die Bildung eines „Ein-Knochen-Unterarmes“, wie sie von Rodgers und Hall (1993[18]) sowie Peterson (1994[16]) berichtet wurde.

Der Unterschied zwischen einzeitiger Verlängerung und kontinuierlicher Distraktion liegt daher weniger in der Zahl der notwendigen Operationen, sondern im Ausmaß der erreichbaren Verlängerung und vor allem in der Dauer der Behandlungszeit. Ist eine Verlängerung von mehr als 25 mm erforderlich, kann diese nur mit Distraktion durch ein äußeres Gerät erreicht werden. Meist ist die Ellenverkürzung jedoch nicht so stark, so dass bei der Entscheidung über die anzuwendende Methode auch der Zeitaufwand für die gesamte Behandlung in die Überlegungen einfließen sollte.

In den bereits zitierten Arbeiten, in denen die Distraktionsbehandlung empfohlen wird, werden mit zwei Ausnahmen (Pritchett 1986[17], Cheng 1991[8]) bedauerlicherweise entweder gar keine oder nur ungenaue Angaben über Behandlungsdauer und erreichte Ellenverlängerung gemacht. Aus der Tabelle der zu kommentierenden Arbeit lassen sich Ulnaverlängerungen von (nur) 18 bis 22 mm ablesen. Die Behandlungsdauer lag bei durchschnittlich fünf (vier bis sieben) Monaten, obwohl die Osteochondrom-Entfernung zehn bis 44 Monate vor der Verlängerung durchgeführt worden war. Die Gesamtbehandlungsdauer lässt sich dadurch aus der Arbeit nicht errechnen.

Hält man die Behandlungsdauer von etwa sechs Wochen bei der einzeitigen Verlängerung (wenn auch ohne die Entfernung des Osteosynthesematerials) bei praktisch gleichen Endergebnissen dagegen, so muss die Frage gestellt werden, ob die Indikation für das aufwendigere Verfahren gerechtfertigt ist. Es ist nicht nur die etwa viermal längere Behandlungszeit, sondern auch eine den Patienten belastende viermonatige Tragedauer des Fixateurs. Die Entnahme eines Darmbeinspanes ist erfahrungsgemäß kein Aufwand und keine besondere Belastung für den Patienten. Ebenso wenig beinhaltet eine Verlängerung von bis zu 25 mm die Gefahr einer Nervenschädigung, zumal die Weichteile weniger gedehnt werden als der Knochen.

Die von den Autoren in der Diskussion erwähnten Komplikationen des einzeitigen Verfahrens, Spanresorption und Pseudarthrosebildung, konnten wir weder bei den eigenen Patienten noch in der sonstigen Literatur finden. Achsenkorrekturen lassen sich bei sofortiger Ellenverlängerung mindestens ebenso gut ausgleichen wie bei wochenlanger Distraktion.

Ein weiteres Problem in der Behandlung kartilaginärer Exostosen am Unterarm liegt im gestörten Längenwachstum der Ulna (und anderer betroffener Röhrenknochen). Es wurde bereits 1891 von Bessel-Hagen[1] erkannt und von Jaffe (1943[12]) sowie Bethge (1963[2]) in ihren Hypothesen betont. Für den weiteren Verlauf nach einer operativen Behandlung, unabhängig von der Art derselben, ist eine zusätzliche tumor- oder operationsbedingte Schädigung der Epiphysenfuge der Ulna von beträchtlicher Bedeutung. Ist das distale Ellenende intakt, so kann trotz dieser zur Erkrankung gehörenden Wachstumshemmung noch ein gewisses weiteres Wachstum der Elle erwartet werden (siehe Abb. [1]), insbesondere wenn bei der Verlängerung eine Überkorrektur erreicht wurde. Bei geschädigter Epiphysenfuge bleibt das weitere Wachstum jedoch deutlich zurück. Es ist dann rechtzeitig eine erneute Ellenverlängerung erforderlich, da sonst der Radius wieder unter Druck gerät und sein Kopf aus dem Radiohumeralgelenk herausgedrückt wird (siehe Abb. [2] und [3]). Dies ist nach Möglichkeit zu verhindern, da die Verrenkung des Radiuskopfes kaum wirksam zu behandeln ist.

Bezüglich der Deformierung des distalen Radiusendes muss dahingestellt bleiben, ob die auf Solomon (1963[21]) zurückgehende Theorie, dass die Verbiegung des distalen Radius und die Abschrägung seiner Gelenkfläche bei primärer Verkürzung der Ulna durch die festen Bandverbindungen zwischen beiden Knochen bedingt seien, wirklich zutrifft. Diese „tether theory“ erscheint zwar mechanisch verständlich; es wurden aber bei mehreren Patienten diese Deformierungen des distalen Radius beobachtet, ohne dass die Ulna verkürzt war (Masada und Mitarb. 1989[14], Bock und Reed 1991[5], Burgess und Cates 1993[6], Jiya und Mitarb. 1997[13]). Ebenso wenig ist eine Spontankorrektur der Radiusgelenkfläche nach operativem Längenausgleich der Ulna berichtet worden; eine Verbesserung kann nur durch Korrekturosteotomie oder halbseitige Epiphyseodese am Radius erreicht werden.

Wir empfehlen folgende Behandlungsschritte für den Unterarm, wobei die Beobachtung und gegebenenfalls Behandlung kartilaginärer Exostosen an anderen Körperteilen nicht außer Acht gelassen werden darf:

Frühzeitige - sobald die Diagnose gestellt worden ist - Entfernung der Osteochondrome an den Unterarmknochen, um deren weitere Ausdehnung zu vermeiden. Liegt bereits eine Verkürzung der Ulna vor, gleichzeitige Verlängerung: Einzeitig mit Darmbeinspan-Interposition bei Verlängerung bis zu 25 mm; bei größerer Distanz Distraktion. Gleichzeitig Ausgleich einer Radiuskrümmung und/oder einer Abschrägung der Radiusgelenkfläche durch Korrekturosteotomie oder halbseitige Epiphyseodese. Im weiteren Wachstumsalter ständige Kontrollen des weiteren Ellenwachstums. Erneute Verlängerung der Elle bei zunehmendem Minderwachstum (siehe Abb. 3), um eine Radiusverbiegung und eine Luxation seines Kopfes zu verhindern (siehe Abb. 2). Bei stärkerer Verkürzung des gesamten Unterarmes Distraktionsverlängerung, wodurch auch der luxierte Radiuskopf in eine bessere Position gebracht wird (ein Versuch der Reposition mit Rekonstruktion des Lig. anulare ist fast immer erfolglos). Bei Kindern erkrankter Eltern bereits in den ersten Lebensjahren regelmäßige Kontrollen, um eine frühzeitige Behandlung einzuleiten und unbemerkt entstehende gröbere Veränderungen zu vermeiden (siehe Abb. 1).

Da es in handchirurgischem Interesse liegt und in der zu kommentierenden Arbeit nicht beziehungsweise nur am Rande darauf hingewiesen wurde, sollen noch zwei Dinge erwähnt werden. Das erste ist die Beteiligung der Fingerglieder und Mittelhandknochen. Hier machen sich die Exostosen besonders in Epiphysennähe bemerkbar und verursachen Wachstumsstörungen (Abb. [4]). Obwohl gröbere Veränderungen beobachtet worden sind (Shankar und Pusey 1987[19]), sind die klinischen Auswirkungen meist gering und beschränken sich auf Deformierungen im Gelenkbereich, Bewegungseinschränkungen und Wachstumsstörungen im Sinne der Brachymetakarpie und Brachydaktylie (-phalangie) (Wood und Mitarb. 1990[23], Cates und Burgess 1991[7], Bock und Reed 1991[5]). Die Verteilung auf die einzelnen Knochen wird in den beiden erstgenannten Arbeiten angegeben. Die in der zu kommentierenden Arbeit erwähnte Verkürzung der Mittelhandknochen ist darauf zurückzuführen, wobei radiologisch nicht immer Exostosen nachzuweisen sind.

Abb. 4 Multiple Exostosen an Mittelhandknochen und Phalangen beider Hände mit Verkürzung der betroffenen Knochen.

Die Behandlung der Verkürzung ist nicht erforderlich. Achsenabknickungen müssen jedoch mit Keilosteotomien - neben der Entfernung des Osteochondroms - korrigiert werden. Eine operative Tumorexzision ist jedoch nicht in jedem Fall erforderlich; die Indikation wird durch die Beeinträchtigung der Funktion gestellt, aber auch von der Größe und der damit verbundenen Deformierung beeinflusst. Am Endglied kann der Fingernagel deformiert sein; hier ist eine operative Entfernung gelegentlich schwierig.

Der zweite noch erwähnenswerte Punkt sind die begleitenden Fehlbildungen, die sich gelegentlich finden und die fast nie erwähnt werden. Obwohl sie natürlich keine direkte Beziehung zu den Exostosen haben, mag es doch von Interesse sein, von ihrem Vorkommen zu wissen. Unter den eigenen 20 Patienten befand sich ein Patient mit FFU-Syndrom (Femur-Fibula-Ulna-Syndrom) mit Fehlen von vier Fingerstrahlen (Abb. [5]) und radiohumeraler Synostose am gegenseitigen Arm sowie entsprechenden Beinveränderungen. Zwei Patienten wiesen eine radiale Polydaktylie auf, einer davon im Rahmen einer Pierre-Robin-Sequenz. Bei diesen Patienten waren die Exostosen eigentlich die „begleitenden Fehlbildungen“, da sie erst später als die erwähnten anderen Fehlbildungen auftraten und dementsprechend später behandelt werden konnten.

Abb. 5 Kartilaginäre Exostosen an der Elle, mehreren Mittelhand- und Fingerknochen links bei einem sechsjährigen Knaben mit FFU-Syndrom (die schweren Deformierungen am rechten Bein sind nicht dargestellt).

Literatur

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Prof. Dr. med. Dieter Buck-Gramcko

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