Gesundheitswesen 2000; 62(1): 25-29
DOI: 10.1055/s-2000-10307
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Rechtsgrundlagen und Ermessensspielräume bei der amtsärztlich angeordneten Obduktion (Verwaltungssektion)

R. Dettmeyer, P. Schmidt, B. Madea
  • Institut für Rechtsmedizin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. med. B. Madea)
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Zusammenfassung

Die amtsärztliche Anordnung einer Obduktion beschränkt sich in der Praxis auf die Sektion gem. BSeuchenG als sog. Verwaltungssektion. Ist die Obduktion jedoch nicht zwingend geboten, so sind bei der Anordnung der Leichenöffnung die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundrechte des Verstorbenen wie der totensorgeberechtigten Angehörigen ebenso zu beachten wie die darauf beruhenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen auf Landesebene. Die im Rahmen einer Ermessensentscheidung juristisch relevanten Fragen und Lösungsmodelle zur Einbeziehung der Angehörigen werden dargelegt.

Legal Basis and Discretionary Power to Act on an Official Order to Perform an Autopsy (Administratively Described Dissection)

In Germany, autopsies can be ordered by the representatives of the board of health according the Epidemics Law as so called administrative autopsy. If the autopsy is not absolutely necessary, it is mandatory to take into consideration the rights of the deceased persons as well as the rights of the relatives. The decisions of the legislature concerning clinical autopsies must also be considered. The juridical aspects and different types of organising the interrogation of the relatives are explained.

Fußnoten

3 Vgl. „Gesetz über das Leichenwesen” der Freien Hansestadt Bremen vom 27. Oktober 1992, GBl. Nr. 52, S. 627.

4 Dass Obduktionen bzw. Verwaltungssektionen gestützt auf polizei- und ordnungsrechtliche Generalklauseln angeordnet werden, kommt praktisch nicht vor.

5 „Gesetz über die Feuerbestattung” vom 15.5.1934, RGBl. I S. 380.

6 „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz)” i. d. F. der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 - BGBl. I S. 2262 (zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.5.1995 (BGBl. I S. 746); dieses Bundesgesetz gilt gem. Anlage 1 zum Einigungsvertrag, Kap. X, Sachgebiet D, Abschnitt III Nr. 3 im gesamten Bundesgebiet.

7 Vgl. das „Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG)” vom 7. August 1996, BGBl. 1996, Teil I Nr. 43, S. 1254 ff., dort die §§ 103 ff. SGB VII.

8 Derartige Verwaltungssektionen gab es etwa in der früheren DDR gemäß § 8 der „Anordnung über die ärztliche Leichenschau”, GBl. DDR 1979, S. 4; die Fortgeltung dieser Anordnung und insbesondere ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ist umstritten.

9 Ausführlich: Dettmeyer. Die verfassungsrechtlichen Grenzen für die gesetzliche Einführung einer Verwaltungssektion bei medizinisch unklaren Todesfällen, Jur. Diss., Bochumer Schriften zum Sozialrecht (BOSS), Bd. 3, Verlag Peter Lang, 1999.

10 Wortgleich übernommen in § 26 Abs. 3 des derzeit als Entwurf diskutierten „Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)” - Stand: 26. März 1999 - wobei jetzt konkretisierend darauf hingewiesen wird, dass die Anordnung gegenüber dem Gewahrsaminhaber des Leichnams zu folgen habe.

11 Zur postmortalen Fortgeltung von Grundrechten siehe u.a. Taupitz. Zum Umgang mit der Leiche in der Medizin, Ethik Med 1994; 6: 38-42.

12 KG Berlin, Beschl. v. 20.11.1989, NJW 1990, 782 (783/784).

13 Seit in BVerfGE 30, 173 (194) - Mephisto - die Rechtsprechung des BGH zur postmortalen Fortwirkung des zivilrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. § 823 Abs.1 BGB übernommen wurde.

14 Dazu auch BVerfG, NJW 1994, 783, 784; LG Saarbrücken, MedR. 1983, 154.

15 Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe legte 1978 ihren Bericht vor. Nach einer Mehrheitslösung sollte eine klinische Sektion bei medizinischer Notwendigkeit immer dann möglich sein, wenn vom Verstorbenen selbst kein Widerspruch vorliegt (enge Widerspruchslösung), die Angehörigen wurden nicht berücksichtigt. Eine Minderheitslösung wollte den Angehörigen eine Widerspruchsfrist einräumen (erweiterte Widerspruchslösung), siehe Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Anlage 2, Entwürfe I und II. Danach wurde allerdings die ebenfalls von der Arbeitsgruppe zu behandelnde Transplantationsproblematik abgekoppelt und allein weiterverfolgt, das Obduktionsrecht sollte später gesondert angegangen werden.

16 Das Bundesverfassungsgericht hat selbst bei strafprozessualen Obduktionen angedeutet, dass die unterlassene Anhörung der Angehörigen gem. § 33 Abs.3 StPO möglicherweise einen Verstoß gegen Art. 103 Abs.1 GG darstellen könne, BVerfG, NJW 1994, 783, 784.

17 Als Besonderheit sei erwähnt, dass einzig in Bremen die Staatsanwaltschaft gem. § 12 des brem. „Gesetzes über das Leichenwesen” bei unaufgeklärter Todesart durch die zuständige Behörde eine außergerichtliche Obduktion durchführen lassen kann. Diese Vorschrift entspricht einer alten Regelung in der früheren Bremer Gesundheitsdienstordnung vom 13. September 1935, GBl. S. 191, nach der die Polizeibehörde im Einvernehmen mit dem Gesundheitsamt eine Obduktion u.a. bei Verdacht auf Suizid oder Unglücksfall anordnen konnte. Auch diese Obduktionen lassen sich als auf bestimmte Indikationen beschränkte Verwaltungssektionen klassifizieren.

18 Dass die Einbeziehung von nicht verwandten Angehörigen möglich und u. U. sogar erforderlich ist, verdeutlicht auch § 4 des Transplantationsgesetzes vom 5.11.1997, wo es bezogen auf die Organexplantation heißt: „Der nächste Angehörige ist nur dann zu einer Entscheidung nach Absatz 1 befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organspenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte. Der Arzt hat dies durch Befragung des Angehörigen festzustellen ... Dem nächsten Angehörigen steht eine volljährige Person gleich, die dem möglichen Organspender bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe gestanden hat; sie tritt neben den nächsten Angehörigen.”

19 Auf die Frage, inwieweit anlässlich der Obduktion Leichenteile einbehalten werden dürfen, sei hier nur hingewiesen. Im Rahmen der Obduktion werden ohnehin alle inneren Organe präpariert und zumindest erscheint unbestritten, dass die Einwilligung in eine Obduktion auch die Entnahme jener Organproben für histologische, chemisch-toxikologische, postmortal-biochemische, mikrobiologische und ggf. serologische Untersuchungen umfasst, die nach dem Ergebnis der Autopsie zur definitiven Klärung der Todesursache oder Beantwortung anderweitiger Fragestellungen auch nur möglicherweise benötigt werden und sei es zum Ausschluss eventuell konkurrierender Todesursachen. Hier ist der Verantwortungsbereich des Obduzenten betroffen, dem ein breiter Entscheidungsspielraum zugestanden werden muss. Dies umfasst auch die Asservation ganzer Organe, wie z. B. das Herz bei bestehendem Verdacht auf eine Myokarditis oder wenn die Untersuchung im Hinblick auf ein bereits bekanntes Grundleiden als nahe liegend angesehen werden muss. Dabei ist zu betonen, dass die Asservation selbstverständlich in einer nicht entstellenden Art und Weise erfolgt, dem Pietätsempfinden Rechnung getragen wird und die Angehörigen selbstverständlich bei der üblichen Aufbahrung den Anblick eines unversehrten Leichnams erhalten.

20 KG Berlin, Fn. 10.