Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(05): e72
DOI: 10.1055/s-0044-1788520
Abstracts │ DGP
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Trauererfahrungen von Angehörigen nach Verlust eines nahestehenden Menschen während der COVID-19 Pandemie – Ergebnisse einer qualitativen Studie

A Ullrich
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
M Greiner
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
S Wehmeyer
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
A Schieferdecker
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
B Schoerger
2   Zentrum für Palliativmedizin und Centrum für Integrierte Onkologie Aachen/Bonn/Köln/Düsseldorf, Universität zu Köln und Uniklinik Köln, Köln
,
S T Simon
2   Zentrum für Palliativmedizin und Centrum für Integrierte Onkologie Aachen/Bonn/Köln/Düsseldorf, Universität zu Köln und Uniklinik Köln, Köln
,
C Bokemeyer
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
K Oechsle
1   Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
› Author Affiliations
 

Hintergrund Kenntnisse über die subjektiven Trauererfahrungen Angehöriger während der COVID-19 Pandemie und inwiefern das vielfach in der Trauerbegleitung angewendete „Duale Prozessmodell der Trauer“ ggf. tangiert ist, sind noch stark limitiert. Ziel der Studie ist ein vertieftes Verständnis pandemischer Trauererfahrungen, um Trauerangebote bestmöglich auf die Bedürfnisse Betroffener abzustimmen.

Methode Qualitative Studie basierend auf der Grounded Theory mit offenen, leitfadengestützten Interviews. Eingeschlossen wurden deutschlandweit Angehörige nach einem Trauerfall (03/20–12/21, unabhängig von einer SARS-CoV2-Infektion der Verstorbenen). Die Auswertung erfolgte unter Anwendung des Kodierparadigmas nach Corbin & Strauss.

Ergebnisse Angehörige (n=23) wurden im Mittel 1,5 Jahre nach ihrem Verlust interviewt. Pandemische Trauererfahrungen waren geprägt von Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft, die über den Bedürfnissen der Sterbenden und Angehörigen standen. Angehörige berichteten Belastungen durch fehlende Nähe in der letzten Lebenszeit sowie Abschiednahme/Beisetzungen unter schwierigen emotionalen Bedingungen. Trotz dieser Erfahrungen wiesen sie ein großes Repertoire an verlust- (z.B. Besuch von Erinnerungsorten) und wiederherstellungsorientierten (z.B. Akzeptanz neuer Lebensverhältnisse) Strategien der Trauerbewältigung auf. Strategien mit Bezug zu sozialer Unterstützung behielten einen hohen Stellenwert. Dennoch schränkte die Pandemie den Umgang mit dem Verlust auch ein. In der Konsequenz behielten Trauererfahrungen weitgehend ihre grundsätzliche Natur. Die Pandemie bot auch Chancen: mehr Raum für die bewusste Auseinandersetzung mit dem Verlust sowie Kreativität im Umgang mit auferlegten Einschränkungen (z.B. Bestattungspraktiken). Negative Konsequenzen umfassten anhaltende Schuldgefühle in Bezug auf Versäumnisse (z.B. Sterbende nicht nach Hause geholt zu haben) und starke Gefühle (z.B. Wut, Ohnmacht) im Zusammenhang mit traumatischen Abschiedserfahrungen bzw. mit der Lebensendversorgung unter pandemischen Bedingungen.

Schlussfolgerung Im Hinblick auf das „Duale Prozessmodell der Trauer“ scheint per se keine systematische Verschlechterung der Trauerbewältigung vorzuliegen. Angehörige weisen ein ähnliches Repertoire an verlust- und wiederherstellungsorientierten Strategien der Trauerbewältigung auf wie Trauernde in nicht-pandemischen Zeiten. Trauerangebote sollten aber pandemiebezogene Erfahrungen aktiv erfragen, insbesondere im Hinblick auf den langfristigen Widerhall belastender Emotionen.



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Article published online:
26 August 2024

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