Gesundheitswesen 2024; 86(S 02): S89-S90
DOI: 10.1055/s-0044-1781834
Abstracts | BVÖGD, BZÖG, DGÖG
25.04.2024
Workshop "Sexuelle Gesundheit" 12:15 – 13:45 | Saal X.3

Einsteiger: innen in die Sexarbeit

R. Brinkmann
1   Untersuchungs- und Beratungsstelle für sexuelle und reproduktive Gesundheit, Gesundheitsamt Frankfurt am Main
,
M. Siwek
1   Untersuchungs- und Beratungsstelle für sexuelle und reproduktive Gesundheit, Gesundheitsamt Frankfurt am Main
,
A. Gaußmann
1   Untersuchungs- und Beratungsstelle für sexuelle und reproduktive Gesundheit, Gesundheitsamt Frankfurt am Main
› Author Affiliations
 

Einleitung: Die Thematik der Einsteiger: innen in die Sexarbeit hat eine große soziale Relevanz. Die strukturellen und gesellschaftlichen Bedingungen der letzten Jahre haben sich auch in der Arbeit der Sexarbeiter: innen widergespiegelt. Faktoren wie die Corona-Pandemie, Konflikte und Krieg in Europa und die angespannte wirtschaftliche Lage wirken sich auch auf den Bereich der Sexarbeit aus.

Das Gesundheitsamt Frankfurt am Main berät seit 01.07.2017 Sexarbeiter: innen im Rahmen der regelmäßigen verpflichtenden Beratung nach §10 Prostituiertenschutzgesetz. Anhand der hohen Zahl der bislang durchgeführten Beratungen konnte näher betrachtet werden, ob und inwieweit sich bei den Vorstellungen ein verändertes Bild zeigt. Dies bezieht sich auf den Einstieg in die Sexarbeit, betreffend das Alter beim Einstieg und die Anzahl der Einsteiger: innen, sowie auf die Thesen zu den Gründen für den Einstieg in die Sexarbeit. Ziel der vorliegenden Analyse ist es, anonym und freiwillig erhobene Daten hinsichtlich des Einstiegs in die Sexarbeit auszuwerten und zu analysieren.

Material und Methoden: Die erhobenen Daten aus dem Zeitraum vom 01.07.2017 bis 30.06.2023 werden retrospektiv ausgewertet. Die Datenerfassung i.R. des ProstSchG ist auf Grund der besonderen Schutzbedürfnisse der Betroffenen streng limitiert. Ersatzweise werden deshalb Daten aus einer gesonderten anonymen Erhebung herangezogen.

Hierbei handelt es sich um Daten außerhalb des gesetzlichen festgelegten Rahmens. Sie umfassen Angaben zur Berufserfahrung in der Sexarbeit, Arbeitsort und Krankenversicherungsschutz. Die zusätzlichen Angaben durch die zu Beratenen waren freiwillig und wurden anonym erfasst. Die Erfassung zusätzlicher Angaben dienten dem Zweck, eine bedarfsorientierte Beratung sicherzustellen und der Qualitätssicherung.

Ergebnisse: In der oben genannten Erhebungszeit wurden insgesamt 4.543 Erstberatungen nach §10 ProstSchG durchgeführt. Davon gaben 821 Personen an, noch nie in der Sexarbeit tätig gewesen seien.

Signifikant ist die Zahl der Einsteiger: innen, welche über 40 Jahre alt sind. Von 2017 bis 2022 sind es zwischen 6% und 14% aller Erstberatenen gewesen. In 2023 stieg die Zahl der Erstberatungen im Vergleich zu 2022 sogar um 25%. Entsprechend der Datenlage hat demzufolge jeder: r vierte/r Einsteiger: in das 40. Lebensjahr überschritten.

Für die Altersgruppe der 18 bis 21-jährigen Einsteiger: innen zeigt sich seit 2017 bis 2022 ein stetiger Anstieg. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres ist ein Rückgang von 20% zu verzeichnen (aktuell 18,6%).

Diskussion: Die Motivation, in die Sexarbeit zu gehen, ist ebenso wie das Spektrum der Lebensumstände und Arbeitsverhältnisse vielfältig. Es gibt Diejenigen, die diese Form der unabhängigen Arbeit und des Geldverdienens sowohl als Hauptberuf als auch als gelegentlicher Nebenverdienst bevorzugen und die hohe Flexibilität dieser Tätigkeit schätzen. Einige sind aus einer Notsituation und aus Mangel an ausreichenden Erwerbsalternativen in die Sexarbeit gegangen, da man hier weder eine spezielle Ausbildung benötigt, noch Startkapital braucht. Insbesondere für Frauen und Männer aus dem Ausland, meistens aus Osteuropa, die Geld für sich selbst und die Familie in der Heimat benötigen, ist Sexarbeit oftmals eine Möglichkeit einer schnellen Verdienstmöglichkeit.

Die Verschlechterung der Einkommensmöglichkeiten und die anhaltenden instabilen aktuellen (inter)nationalen wirtschaftlichen Machtverhältnissen greifen ineinander, verstärken sich gegenseitig und erzeugen umfassende soziale, rechtliche, materielle und berufliche Unsicherheiten. Der Anstieg der Mehrheit der Personen mittleren Alters kann damit erklärt werden. Eine Möglichkeit, wieso die Zahl der 18 bis 21jährigen Einsteiger: innen abgenommen hat, könnte die zunehmende Digitalisierung sein, da die Einsteiger: innen die Angebote der verschiedenen Internetplattformen nutzen könnten und damit einer Registrierung entgehen.

Eine Anpassung der Beratungsinhalte erwies sich hier als notwendig, sodass bestimmte Themen weiterhin im Mittelpunkt stehen und sogar verstärkt werden, wie zum Beispiel der Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen, Übertragungswege, sowie auf das anonyme und freiwillige Angebot des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main aufmerksam zu machen. Hier werden wichtige Informationen bezüglich des Untersuchungs- und Therapieangebotes vermittelt, insbesondere wenn keine Krankenversicherung und/oder ein erschwerter Zugang zum Gesundheitssystem besteht.



Publication History

Article published online:
10 April 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany