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DOI: 10.1055/s-0044-102175
Die Sicht der Eltern
Publication History
Publication Date:
15 March 2018 (online)
Liebe Leserinnen und Leser,
die Neonatologie hat eine Vielzahl von Berührungspunkten mit anderen klinischen Disziplinen, insbesondere mit der Geburtshilfe, Kinderchirurgie, Anästhesie und den Teilgebieten der Kinderheilkunde, um nur einige Wenige zu nennen. Sie ist zugleich eine multiprofessionelle Disziplin – der intensive Austausch mit den Pflegekräften, Hebammen, Physiotherapeuten und dem psychosozialen Team prägt den Arbeitsalltag auf der neonatologischen Station. Und manchmal ist es schwer, alle unter einen Hut zu bringen!
Zugleich ist die Neonatologie, wie die Kinderheilkunde allgemein, ein Teilgebiet, in dem wir es gewohnt sind, nicht nur den Patienten im Blick zu haben sondern auch seine Eltern, oder idealerweise die gesamte Familie. Verbale Kommunikation findet in der Neonatologie überwiegend mit den Eltern und über das Kind statt – nicht mit dem Kind, dem Patienten. Was passiert, wenn Eltern jetzt auch noch mitreden wollen?
Die seit Jahren bestehende Verpflichtung, im psychosozialen Dienst pro 100 Patienten unter 1500 g Geburtsgewicht 1,5 Vollzeitkräfte zur Elternbetreuung vorzuhalten, hat den Fokus bereits von der reinen ärztlich-pflegerischen Tätigkeit in der Neonatologie auf eine familienzentrierte Sichtweise verlagert. Die Dokumentation zum Entlassmanagement, die seit einigen Monaten zum Pflichtprogramm der stationären Behandlung gehört, hat noch einmal die Notwendigkeit verdeutlicht, über die Entlassung hinaus medizinische, pflegerische oder organisatorische Probleme der Eltern im Blick zu haben.
In der Erwachsenenmedizin haben Selbsthilfegruppen für eine inzwischen unübersehbar große Anzahl von Erkrankungen eine immer größere Bedeutung erlangt. In der Neonatologie stellt eine Vielzahl von regionalen Frühgeborenenvereinen das Pendant zur Selbsthilfegruppe dar. Informationsvermittlung, Erfahrungsaustausch und oftmals auch finanzielle Unterstützung für die Kliniken bei Projekten unterschiedlicher Größe – das sind die wichtigsten Ziele dieser Frühgeborenenvereine. Sie werden überwiegend von den Eltern getragen. Zugleich haben sie sich mittlerweile national bzw. sogar europa- und weltweit vernetzt, sie sind zu einer wichtigen Interessensvertretung geworden. Diese Interessensvertretung hat inzwischen auch Gewicht in Entscheidungsgremien, wie bspw. dem gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Spätestens jetzt ist für alle erkennbar: Das multiprofessionelle „Behandlungsteam“ hat sich erweitert, die Eltern sind mit im Boot – man muss auch sie mit unter den gemeinsamen Hut nehmen, sie wollen und dürfen mitreden!
Wir haben deshalb zum ersten Mal die „European Foundation for the Care of Newborn Infants“ (EFCNI) gebeten, zu den Erwartungen von Eltern an die medizinische und pflegerische Versorgung Neugeborener in unserer Zeitschrift Stellung zu beziehen. Der ausführliche Fortbildungsbeitrag des 3-köpfigen Autorenteams fasst die für die tägliche Stationsarbeit wesentlichen Punkte in den verschiedenen Phasen der Behandlung zusammen, von der vorgeburtlichen Beratung bis zur Nachbetreuung nach Entlassung.
Wer diesen wichtigen Beitrag gelesen hat wird zu der Erkenntnis kommen: Vieles ist sinnvoll und begründbar, aber leider ist nicht alles machbar. Nur wenige Kliniken können sich bspw. neonatologische Abteilungen leisten, die wirklich von Grund auf nach den Bedürfnissen von Neugeborenen und ihren Eltern konstruiert wurden. Auch Besuchszeiten rund um die Uhr sind nicht überall mit den vorhandenen baulichen und organisatorischen Gegebenheiten vereinbar. Dennoch ist es sinnvoll, sich mit diesen und anderen Forderungen der Eltern auseinanderzusetzen und sie sich, wo immer dies möglich ist, zu eigen zu machen. Übrigens sind elterliche Positionen oftmals deckungsgleich mit denen des neonatologischen Teams. Und vieles ist gar nicht teuer: Im Alltag genügt manchmal schon ein wenig mehr Aufmerksamkeit für die Situation der Eltern.
Ihre Herausgeber
Prof. Dr. med. Roland Hentschel
Leiter des Funktionsbereichs Neonatologie/Intensivmedizin
Universitätsklinikum Freiburg
PD Dr. med. Axel Hübler
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Chemnitz gGmbH