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DOI: 10.1055/s-0044-101966
„Auch die Kompression der Aorta können Sie ab und zu versuchen“
Publication History
Publication Date:
10 April 2018 (online)
Die atonischen Blutungen post partum waren von jeher der Schrecken der Geburtshelfer und die größte Gefahr für die Entbundene. Guillaume Manquet de la Motte (1655–1737), der in Paris ein sehr erfolgreicher Geburtshelfer war, schrieb in seinem Lehrbuch, das in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts in mehreren Auflagen (1721, 1726, 1729) erschienen ist, er wüsste kein probates Mittel zur Behandlung einer ausgeprägten Atonie des Uterus post partum anzugeben. Er wusste wohl, dass die Kontraktion der Uterusmuskulatur die Blutstillung bewirken kann. „Eine solche erforderliche Kontraktion vermag aber nur die Natur herbeizuführen, der Geburtshelfer weiß keine Hilfe“, schrieb de la Motte.
Die Versuche, blutstillende Kontraktionen auszulösen, waren zahlreich: Spülungen mit heißem Wasser, empfahlen einige Geburtshelfer, andere bevorzugten Eiswasser oder das Einlegen von Eiswürfeln in das Uteruscavum. Als Zusatz zum Wasser wurden Adstringentien als erfolgreich angesehen. Von vielen Geburtshelfern wurden unterschiedliche Handgriffe empfohlen, die den atonischen Uterus zu Kontraktionen reizen sollten. Es wurden Handgriffe angegeben, benannt nach Fritsch, nach Zweifel, nach Piskacek und Credé, alle Lehrstuhlinhaber in Deutschland.
Was aber war zu tun, wenn alle diese Maßnahmen nicht wirkten? „Die logische Konsequenz war die Vorstellung, die Blutzufuhr zum Uterus anhaltend zu unterbrechen bis zum Stillstand der Blutung“, schrieb H. Fehling (1847–1925) in seinem Buch über die Entwicklung der Geburtshilfe und Gynaekologie im 19. Jahrhundert. „Eine Verblutung wegen Atonia uteri ist ein so außerordentlich seltener Fall, daß er erfahrenen Geburtshelfern fast niemals vorkommt, wenn sie die bisher üblichen Therapien kennen und anzuwenden wissen“, schreibt K. Schröder (1838–1887) in seinem Lehrbuch von 1891.
Bei allen Autoren, die sich zur Aortenkompression in ihren Lehrbüchern geäußert haben, hat der Leser den Eindruck, dass sie persönlich keine Erfahrung mit der Methode hatten. So schreibt Ahlfeld in seinem Beitrag von 1898: „Nur wenig günstige Resultate werden von der Kompression der Aorta gemeldet“. „Schon einige Male in Vergessenheit geraten, wird dieses Verfahren von Zeit zu Zeit wieder aufgefrischt“, meint Zweifel.
R. Kaltenbach (1842–1893) glaubt nur an eine unzureichende Beschränkung der Blutzufuhr. „Denn man kann die Aorta erst unterhalb des Abganges der Renalarterien comprimieren, beschränkt also höchstens den Blutfluss aus den beiden Art. uterinae. Und überdies ist die Compression der Aorta nicht ausführbar, ohne dass man gleichzeitig teilweise auch die Cava inf. zusammendrückt, wodurch eine sehr nachteilige Stauung herbeigeführt wird“.
M. Runge (1849–1909) hat 1896 die Aortenkompression in die Liste der Therapien der schweren atonischen Blutungen gar nicht aufgenommen. F. v.Winckel (1837–1911) warnt vor der gleichzeitigen Kompression der Vena cava „und vergeude mit den Versuchen nicht zu viel Zeit. Man hat sie jedoch stundenlang ununterbrochen angewandt, nicht bloß, weil sie Uteruscontraktionen bewirke, sondern auch die drohende Gehirnanämie verhindere“.
E. Bumm (1858–1925) empfiehlt 1907 den Hörern in einer seiner 28 Vorlesungen etwas lässig: „Auch die Kompression der Aorta können Sie ab und zu versuchen“.
O. Käser (Ordinarius in Frankfurt) hat 1967 die Aortenkompression unter die Methoden eingeordnet, die in ihrer Wirkung umstritten sind, gesteht aber, dass er mit der Aortenkompression keine eigene Erfahrung hat.
W. Stoeckel (1871–1961) schreibt 1923: „Die Erwartungen, die an die Methode geknüpft wurden, haben sich nicht restlos erfüllt… Es sind vereinzelt infolge von Cavathrombosen und retroperitonealen Blutungen Darmlähmungen bekannt geworden. Harmlos und völlig ungefährlich ist das Verfahren also nicht“.
Im gleichen Jahr, als Stoeckel diese Einschätzung niederschrieb, hatte G. Haselhorst (1893–1953) eine Konstruktion einer Aortenkompresse entwickelt, die eine gewisse Verbreitung fand. Zeichnungen davon wurden in Lehrbüchern abgebildet, z. B. im Lehrbuch von Stoeckel in der 3. Auflage, im Lehrbuch von Martius usw. Aus der Instrumentensammlung des Autors ist ein solches Aortenkompressorium abgebildet ([Abb. 1]).
Es ist ein sehr sperriges Gerät, das in der Hausgeburtshilfe nicht geeignet ist. Aber es verlangt vom Geburtshelfer nach Anlegen keinen weiteren Kraftaufwand. Das Gerät besteht aus 2 Metallarmen, die durch eine Flügelschraube einander genähert werden können. Eine Pelotte schiebt man unter den Rücken der Patientin und die andere über den Bauch. Durch Anziehen der Flügelschraube wird die auf den Bauch gelegte Pelotte so fest gegen die Wirbelsäule gedrückt, bis der Puls in der A. femoralis nicht mehr tastbar ist. Eine Kompression der V. cava gleichzeitig mit der Aorta muss vermieden werden, um einen venösen Rückfluss zu erhalten. Nach spätestens 30 Min sollte das Instrument langsam gelockert und entfernt werden.
Martius sieht in dem von Haselhorst erfundenem Gerät das schonendste und ist deshalb am meisten zu empfehlen. Es sei als vorübergehendes Notverfahren äußerst wertvoll.
Das Problem, eine effiziente Methode für die Behandlung einer Uterusatonie zu finden, ist bis zum heutigen Tag nicht gelöst. Immer wieder werden Verfahren angegeben, wie die uterine Blutung zu stoppen sei. Eine der letzten Publikationen zu diesem Thema ist in dieser Zeitschrift unter dem Titel „Sumo-compression Stops Post Partum Haemorrhage“ 2014 erschienen. Tücher werden als Binden- und Stopfmaterial eingesetzt und wegen der Ähnlichkeit zu der Kleidung der Sumoringer als Sumokompression benannt. Von 5 erfolgreichen Behandlungen wurde berichtet.
Wenn zur Behandlung eines Notfalles so viele Methoden wie bei der Atonia uteri angegeben werden, dann ist das ein Zeichen dafür, dass keine von ihnen einen sicheren Erfolg garantiert.