physioscience 2018; 14(01): 41-43
DOI: 10.1055/s-0044-100528
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Direktzugang verglichen mit ärztlich verordneter Physiotherapie: Ein systematischer Review

Direct Access Compared with Referred Physical Therapy Episodes of Care: A Systematic Review
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Publication Date:
06 March 2018 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund

In den Vereinigten Staaten verursachen muskuloskeletale Beschwerden jährliche Gesundheitskosten von 3578 US-Dollar pro betroffene Person bei einer geschätzten Zahl von 53,9 Millionen Betroffenen. Häufig werden die Beschwerden physiotherapeutisch behandelt. In der Mehrheit der Vereinigten Staaten können Patienten Physiotherapie per Direktzugang, d. h. ohne ärztliche Überweisung in Anspruch nehmen. Laut der Ergebnisse eines ersten systematischen Reviews hat der Direktzugang das Potenzial, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, indem sich sowohl die Wartezeiten als auch die Kosten für den Patienten verringern, während die Zufriedenheit der Patienten steigt [10]. Veränderungen der Genesungszeit, der Behandlungsresultate oder der Kosten für das Gesundheitssystem konnte der Review jedoch nicht feststellen [10].

Um eine Aussage über die Effekte von Direktzugang zur Physiotherapie im Vergleich zu ärztlich verordneter Physiotherapie treffen zu können, erfolgte die Auswertung publizierter Daten über klinische Behandlungsresultate, praktische Umsetzungen, Nutzung und Wirtschaftlichkeit. Dabei wurde davon ausgegangen, dass Gesundheitssysteme mit Direktzugang verringerte Kosten bei ähnlichen Behandlungsresultaten für die Patienten erzielen. Außerdem wurde vermutet, dass keine Nachweise über Schädigungen der Patienten durch Physiotherapie per Direktzugang vorliegen.

Vor dem Hintergrund von gesundheitspolitischen Reformen soll der systematische Review die Bedeutung der Physiotherapie in der Gesundheitsversorgung hervorheben und den Konsumenten, Politikern, Klinikverwaltungen und Kostenträgern dazu dienen, Schlussfolgerungen hinsichtlich der Qualität und Wirtschaftlichkeit von Direktzugang zur Physiotherapie zu ziehen.


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Ziel

Das Ziel des systematischen Reviews war die Evaluation von Studien über Patienten mit muskuloskeletalen Beschwerden sowie der Vergleich der Gesundheitskosten und Behandlungsresultate zwischen Direktzugang und ärztlich verordneter Physiotherapie.


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Methode

Der Literaturreview umfasst Artikel, welche zwischen 1990 und Juli 2013 publiziert und in den Datenbanken CINAHL, Web of Science, PEDro und Ovid MEDLINE aufgenommen wurden. Die Einschlusskriterien waren: (1) Ambulante physiotherapeutische Behandlung von Patienten mit Beschwerden, die zu mehr als 85 % auf muskuloskeletale Ursachen zurückzuführen sind; (2) quantitative Daten von mindestens einer Gruppe, die per Direktzugang physiotherapeutisch behandelt wurde; (3) quantitative Daten von mindestens einer Gruppe, die auf ärztliche Verordnung physiotherapeutisch behandelt wurde; (4) über 50 % der Patienten beider Gruppen wurden physiotherapeutisch behandelt; (5) Anwendung von Assessments für mindestens eines der folgenden Outcomes: Behandlungsergebnisse der Physiotherapie, Kosten oder kostenbeeinflussende Auswirkungen wie bildgebende Verfahren, pharmazeutische Interventionen, Arztkonsultationen und Patientenzufriedenheit.

Die Empfehlungen der Oxford 2011 Levels of Evidence dienten zur Beurteilung des Evidenzlevels jedes Artikels [8]. Eine modifizierte Version der Checkliste nach Downs und Black [1] wurde zur Einschätzung der methodologischen Qualität durch 2 Gutachter verwendet. Die Berechnung der Reliabilität der vergebenen Scores erfolgte mit dem Kappa-Koeffizienten nach Cohen. Die Ergebnisse der Studien hinsichtlich eines gemessenen Outcomes galten als konsistent, wenn die Mehrheit der Artikel dazu einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen beschrieb.


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Ergebnisse

Von den initial 1527 Suchergebnissen wurden 171 Abstracts gesichtet und anschließend 8 Studien [2] [3] [4] [5] [6] [7] [9] [12], davon 4 nicht randomisierte prospektive und 4 nicht randomisierte retrospektive Kohortenstudien in den Review eingeschlossen. Die Scores auf der Checkliste nach Downs und Black [1] rangierten zwischen 13 und 22 von 26 möglichen Punkten. Dabei betrug die Interrater-Reliabilität kappa = 0,931 (P < 0,001; Cohen kappa ± 0,025 Standardfehler).

Gesundheitskosten

Die eingeschlossenen Studien zeigten mit einem Evidenzlevel Grad B, dass die Kosten pro Behandlungsserie für Patienten und Kostenträger geringer sind, wenn Patienten den Direktzugang zur Physiotherapie statt einer ärztlichen Verordnung nutzten. Die Ursachen dafür liegen wahrscheinlich in einer geringeren Anzahl verordneter Bildgebungsverfahren, Injektionen und Medikamenten.


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Anzahl physiotherapeutischer Behandlungseinheiten

Die Patienten, die per Direktzugang physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch nahmen, benötigten eine geringere Anzahl Behandlungseinheiten als die ärztlich überwiesenen Patienten (Evidenzlevel Grad C).


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Begleitende Untersuchungen und Behandlungen wie Bildgebung und pharmazeutische Interventionen

Bei den Patienten mit Physiotherapie per Direktzugang wurden weniger begleitende Untersuchungen und Behandlungen als bei denen mit ärztlicher Überweisung verordnet (Evidenzlevel Grad B).


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Arztkonsultationen, Beratungsleistungen und stationäre Hospitalisationen

Die Studien lieferten inkonsistente Ergebnisse darüber, dass Patienten mit Direktzugang weniger Arztkonsultationen wahrnahmen und seltener stationär hospitalisiert wurden als die mit ärztlich verordneter Physiotherapie (Evidenzlevel Grad D).


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Patientenzufriedenheit

Patienten mit Direktzugang zeigten eine höhere Zufriedenheit im Vergleich zu denen mit Physiotherapie per ärztlicher Verordnung (Evidenzlevel Grad B).


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Behandlungserfolge und Schädigungen der Patienten

Die Patienten der Direktzugang-Gruppen wiesen bei Behandlungsabschluss bessere Resultate (Erreichen der Therapieziele, Abschluss der Behandlungsserie, Schmerzreduktion, geringere Anzahl Krankheitstage) als diejenigen mit ärztlich verordneter Physiotherapie auf (Evidenzlevel Grad C). Der Direktzugang zur Physiotherapie brachte keine Schädigungen der Patienten mit sich (Evidenzlevel Grad C).


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Schlussfolgerungen

Der Literaturreview identifizierte verschiedene Effekte des Direktzugangs im Vergleich zu ärztlich verordneter Physiotherapie: Verbesserte klinische Behandlungsresultate, gesteigerte Patientenzufriedenheit und geringere Behandlungskosten.

Kostenträger sollten in Betracht ziehen, die Finanzierung für Physiotherapie per Direktzugang zu übernehmen, um Gesundheitskosten insgesamt zu reduzieren und Anreize für optimale Behandlungsresultate zu schaffen.


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  • Literatur

  • 1 Downs SH, Black N. The feasibility of creating a checklist for the assessment of the methodological quality both of randomised and non-randomised studies of health care interventions. J Epidemiol Community Health 1998; 52: 377-384
  • 2 Hackett G, Bundred P, Hutton JL. et al. Management of joint and soft tissue injuries in three general practices: value of on-site. Br J Gen Pract 1993; 43: 61-64
  • 3 Holdsworth L, Webster V. Direct access to physiotherapy in primary care: now? – and into the future?. Physiotherapy 2004; 90: 64-72
  • 4 Holdsworth LK, Webster VS, McFadyen AK. et al. What are the costs to NHS Scotland of self-referral to physiotherapy? Results of a national trial. Physiotherapy 2007; 93: 3-11
  • 5 Leemrijse CJ, Swinkels IC, Veenhof C. Direct access to physical therapy in the Netherlands: results from the first year in community-based physical therapy. Phys Ther 2008; 88: 936-946
  • 6 Mitchell JM, de Lissovoy G. A comparison of resource use and cost in direct access versus physician referral episodes of physical therapy. Phys Ther 1997; 77: 10-18
  • 7 Moore JH, McMillian DJ, Rosenthal MD. et al. Risk determination for patients with direct access to physical therapy in military health care facilities. J Orthop Sports Phys Ther 2005; 35: 674-678
  • 8 Oxford Centre for Evidence-Based Medicine (OCEBM). Levels of Evidence Working Group. The Oxford 2011 Levels of Evidence. www.cebm.net/blog/2016/05/01/ocebm-levels-of-evidence (26.11.2017)
  • 9 Pendergast J, Kliethermes SA, Freburger JK. et al. A Comparison of Health Care Use for Physician‐Referred and Self‐Referred Episodes of Outpatient Physical Therapy. Health Serv Res 2012; 47: 633-654
  • 10 Robert G, Stevens A. Should general practitioners refer patients directly to physical therapists?. Br J Gen Pract 1997; 47: 314-318
  • 11 Schweizerischer Bundesrat. Interpellation: Direktzugang zu Physiotherapieleistungen. Stellungnahme des Bundesrates vom 25.05. 2016. Bern: 2016
  • 12 Webster VS, Holdsworth LK, McFadyen AK. et al. Self-referral, access and physiotherapy: patients’ knowledge and attitudes – results of a national trial. Physiotherapy 2008; 94: 141-149