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DOI: 10.1055/s-0043-1771610
Komplexe interozeptive Veränderungen bei Essstörungen: Eine Untersuchung physiologischer, behavioraler, kognitiver und emotionaler Aspekte kardialer Interozeption
Einleitung Interozeption bezeichnet die Wahrnehmung von Signalen aus dem Körperinneren. Sie wird seit langem als transdiagnostischer ätiologischer Faktor für Essstörungen diskutiert. Der Annahme einer generell reduzierten Interozeptionsfähigkeit bei Essstörungen stehen rezent gemischte Befunde gegenüber. Problematisch in vorhandenen Studien ist die Beschränkung auf einzelne Aspekte der Interozeption und einzelne Diagnosegruppen. Um diese Schwächen zu überwinden, untersuchte die vorliegende Studie physiologische, behaviorale, kognitive und emotionale Aspekte der Herzschlagwahrnehmung bei Anorexia nervosa (AN), Bulimia nervosa (BN) und Kontrollpersonen ohne Essstörung.
Methoden Bei 146 Teilnehmerinnen (AN=38, BN=35, Kontrollpersonen=73) wurden während einer Ruhephase und einer Herzschlagwahrnehmungsaufgabe EKG und EEG abgeleitet. Ausgewertet wurden Herzschlag-evozierte Hirnpotenziale (zentralnervöse Verarbeitung kardialer Reize; physiologisch), Herzschlagwahrnehmung (interozeptive Akkuranz; behavioral), Vertrauen in die eigene Herzschlagwahrnehmung (interozeptive Sensibilität; kognitiv) und die emotionale Bewertung der Herzschlagwahrnehmung.
Ergebnisse Patientinnen mit AN wiesen höhere Herzschlag-evozierte Hirnpotenziale auf; Patientinnen mit AN und BN bewerteten die Herzschlagwahrnehmung negativer als die Kontrollgruppe. Für die Herzschlagwahrnehmung und das Vertrauen darin ergaben sich keine signifikanten Gruppenunterschiede.
Schlussfolgerung Anstatt eines übergreifenden interozeptiven Defizits ergab sich ein komplexes Bild interozeptiver Veränderungen. Bei unveränderter Herzschlagwahrnehmung wiesen Patientinnen mit AN eine verstärkte zentralnervöse Verarbeitung des Herzschlags auf. Beide Essstörungsgruppen erlebten die Herzschlagwahrnehmung als aversiv. Explorative Korrelationsanalysen legten einen Zusammenhang von verstärkter und aversiver interozeptiver Verarbeitung mit Ängstlichkeit nahe. Essgestörtes Verhalten könnte der Unterdrückung aversiver Körperempfindungen und Emotionen dienen. Eine multidimensionale Betrachtung von Interozeption ist unerlässlich für die Entwicklung von ätiologischen Modellen und Behandlungsansätzen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
06. September 2023
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Georg Thieme Verlag
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