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DOI: 10.1055/s-0043-1769393
Normwerte für venöses, arterielles und kapilläres Kalium – Aussagen zur Verzichtbarkeit von Kontrollen durch Auswertung von 166604 Blutgasanalysen
Hintergrund Auf neonatologischen Intensivstationen (NICU) wird häufig und fast beiläufig Kalium im Rahmen von Blutgasanalysen (BGA) bestimmt. Wenn dieses nicht innerhalb der klassischen Normwerte fällt, erfolgen oft Kontrollen, weil Komplikationen insbesondere der Hyperkaliämie gefürchtet werden. Gesonderte Normwerte für kapilläre, venöse und arterielle Entnahmen sowie deren Korrelation fehlen.
Fragestellung Was sind Normwerte für die verschiedenen Entnahmeorte? Wie groß ist die Kaliumdifferenz bei annähernd zeitgleichen Proben unterschiedlicher Entnahmeorte?
Material und Methoden Seit 2007 verfügt unsere NICU über eine elektronische Patientenakte; aus den gut 200000 aufgezeichneten Patiententagen wurden insgesamt 111 Millionen Informationen extrahiert. Die BGA wurden mit Gestationsalter (GA), Lebenstag (LT) und Gewicht bei Entnahme, Diuretikagaben bis 4 h und Kaliumsubstitution bis 24 h vor Entnahme annotiert. Als Surrogat für beeinträchtigten Allgemeinzustand (AZ) zogen wir die Gabe bestimmter Medikamente (Inotropika, Puffer, Doxapram u.ä.) bis 12 h, FiO2 > 0,4 bis 1 h, Urinproduktion < 0,5ml/kg/h bis 24 h und zentral-periphere Temperaturdifferenz > 2 °C bis 4 h jeweils vor Entnahme heran. Alle Werte sind als Median [P2,5;P97,5] angegeben.
Ergebnisse Die Annotation gelang bei 97,8% der BGA. Davon hatten 99,8% glaubwürdiges Kalium (1,5 bis 10 mM). Folgend werden somit 162722 Werte von 8994 Patienten (GA 36,3[25,6;41,4] Wochen, 55,2% männlich, 9[1;107] BGA/Patient) betrachtet. Arteriell waren 11%, venös 21% und kapillär 68%; die Entnahmen erfolgten am 7[1-104] LT; das Gewicht betrug 2,08[0,66;4,41] kg. In einem multivariaten Modell erwiesen sich Diuretika, LT, AZ und postmenstruelles Alter – anders als Gewicht und KS – als bedeutend. Nach Ausschluss von Entnahmen unter beeinträchtigtem AZ und Diuretika ergeben sich folgende Verteilungen: arteriell (n=2585) 3,7[2,8;5,3] mM, venös (n=8019) 3,7[2,5;5,4] mM und kapillär (n=38863) 4,4[3;6,5] mM. Ab 14. LT: arteriell (n=112) 4,1[2,6;5,7] mM, venös (n=1495) 3,9[2,6;5,5] mM, kapillär (n=13371) 4,3[3;6,1] mM. Vergleicht man Kapilläre mit innerhalb von ±2h an anderen Entnahmeorten bestimmten Werten (n=4635), ergibt sich eine Differenz von 0,7[-1,0;3,6] mM (p < 0,00001). Dieser Unterschied ist unter dem hier formulierten Intervall [3,5;6,1] kleiner als darüber (0[-1,6;0,9] vs. 2,4[0;5,1] mM, p < 0,00001).
Diskussion Dies ist die bisher umfangreichste Analyse von BGA bei NICU-Patienten. Aus unseren Daten empfehlen wir zur Bewertung kapillären Kaliums neue Grenzwerte: 3,5 bis 6,1 mM. Kalium ist kapillär 0,7 mM höher als in venösen oder arteriellen Kontrollen; diese Differenz ist bei Hyper- größer als bei Hypokaliämie. Zur Vermeidung von Überdiagnostik, schlagen wir vor, bei stabiler klinischer Situation (AZ, Monitor-EKG, Diurese, Kaliumzufuhr) kapilläres Kalium unter 6,1 mM nur sehr restriktiv zu kontrollieren. Die Übernahme in die Routine kann viele unnötige und schmerzhafte Blutentnahmen vermeiden.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
06. Juni 2023
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