intensiv 2017; 25(06): 282-283
DOI: 10.1055/s-0043-118876
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Qual der Wahl

Heidi Günther
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Publication Date:
06 November 2017 (online)

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage!

(Zitat von Hamlet in „Hamlet“ , Tragödie von William Shakespeare (1564–1616), engl. Dramatiker)

Man kann es drehen wie man will und auch mit größter Anstrengung kommt man nicht daran vorbei: 2017 war und ist ein Wahljahr. Es wurden schon ein neuer Bundespräsident und drei neue Landtage gewählt und die Krönung des Ganzen ist am 24. September die Wahl des nächsten, des 19. Bundestags. Nun muss ich nicht gerade über hellseherische Fähigkeiten verfügen, um jetzt, wo ich hier Ende August sitze und schreibe, den Ausgang dieser Wahl vorherzusagen. (Obwohl: Das haben die Amerikaner am Anfang des Jahres auch gedacht und jeder weiß ja, was bzw. wer dabei herausgekommen ist.) Ich muss auch nicht den Wahl-O-Mat bemühen, damit ich weiß, wen oder was ich wählen werde. Übrigens können wir Frauen in Deutschland schon seit dem Januar 1919 wählen und gewählt werden, während einer Frau in der Schweiz erst seit Anfang der 1970er-Jahre und in Saudi-Arabien erst seit diesem Jahr der Gang zur Wahlurne erlaubt ist. Die Frau in Saudi-Arabien darf deswegen aber noch lange nicht Auto fahren und wird durch einen Vormund (sprich Vater oder Ehemann) betreut und vertreten. Wie das dann bei einer geheimen Wahl abläuft, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Noch bizarrer wird es, wenn eine dieser dort lebenden Frauen sich selbst zur Wahl stellen will. Da die arabische Frau an sich in der Öffentlichkeit nicht abgebildet werden darf, gibt es auch keine Wahlplakate der Kandidatinnen. Ich will ja nicht zynisch klingen, aber viel wäre in Anbetracht der Verschleierungspflicht auf diesen Plakaten auch nicht zu erkennen. Daher hat dieses Wahlrecht für Frauen wohl auch nur Symbolcharakter.

Doch nicht nur zu offiziellen, staatstragenden Anlässen sind wir gefordert eine Wahl zu treffen. Was heißt gefordert? Eigentlich ist die Möglichkeiten, wählen zu können, ein Zeichen unseres freiheitlichen Lebens. Wir sind frei zu entscheiden, wie, wo und mit wem wir leben wollen. Zumindest ab einem bestimmtem Alter. (Hätte ich seinerzeit meinem pubertären Sohn immer die freie Wahl gelassen – ich weiß nicht genau, ob es ein so gutes Ende genommen hätte.) Wenn wir dann aber endlich erwachsen waren oder uns zumindest so fühlten, hatten wir freie Bahn für freie Wahlen und die Hoffnung, das Glück in der eigenen Hand zu haben.

Dabei frage ich mich, ob die jungen Leute heute immer die richtige Wahl für große Entscheidungen wie zum Beispiel für den zukünftigen Beruf getroffen haben. Ich musste mich mit 14 Jahren entscheiden, welchen Beruf ich ergreifen möchte, und im Alter von 15 Jahren war die Entscheidung dann in Stein gemeißelt. Zu meiner Zeit war es mit Berufsberatung, diversen Praktika oder „Schnuppertagen“ noch nicht so weit her. Oder damit, nach der Schule mal ein Jahr auszusetzen und sich ausprobieren. Undenkbar. Mich könnte heute schon ein kleines bisschen Neid ob der Möglichkeiten der jungen Leute heutzutage beschleichen. Erst als junge erwachsene Frau kamen mir Ideen, was ich eigentlich auch alles hätte werden können. Aber da hatte ich schon eine Familie gegründet, ein Sohn war geboren und das alltägliche Familienleben war in vollem Gange.

Apropos Sohn: Auch hier können wir wählen, und zwar den Namens für ein neugeborenes Kind. Ich habe eine Kollegin, die in den nächsten Tagen ihr erstes Kind zur Welt bringen wird. Die Namensfindung gestaltet sich offensichtlich etwas schwierig. Da sie von allen Seiten mit Vorschlägen zugeschüttet wird, konnte ich auch nicht widerstehen und habe meine Vorschläge zum Besten gegeben. Es werden zwar noch keine Wetten abgeschlossen, aber spannend wird es allemal. Ich selbst habe es mir damals leicht gemacht und habe meinen Sohn wie seinen Onkel, Großvater und Urgroßvater genannt. Das hatte den großen Vorteil, dass alle Genannten sich geschmeichelt fühlten. Missverständnisse gibt es nur, wenn die ganze Familie zusammen ist, einer gerufen wird und drei reagieren.

Jetzt haben wir ja gerade die Haupturlaubszeit des Jahres. Abgesehen davon, dass ich es jedes Jahr absurd finde, dass die Urlaubsplanung auf den Stationen schon im November des Vorjahres stattfindet, wird es augenscheinlich nicht leichter, die richtige Wahl für das richtige Urlaubsziel zu treffen. In Zeiten von immer größer werdenden Naturkatastrophen oder politischen Entwicklungen in den verschiedensten Ländern wird die Auswahl immer begrenzter. Zu Hause bleiben scheint aber ebensowenig eine sichere Lösung zu sein. Mal ist es zu warm, dann wieder zu kalt, und von diversen Hochwassern und Stürmen will ich gar nicht reden.

Und so wählen wir uns quasi durch unser ganzes Leben und können immer nur wieder hoffen, die richtige Wahl getroffen zu haben. Denn wenn es auch Situationen gibt, in denen wir scheinbar keine Wahl haben, können wir bei genauem Hinsehen feststellen, dass es doch eine Wahl gegeben hätte. Ob diese dann aber die richtigere gewesen wäre, ist zu hinterfragen. Selten sind doch Situationen alternativlos.

„Alternativlos“ – ein Wort, das übrigens 2010 zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Zu Recht – finde ich!

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de