Der Klinikarzt 2017; 46(03): 63
DOI: 10.1055/s-0043-105524
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Fit für die Zukunft?

Winfried März
1   Mannheim/Graz
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Publication Date:
04 April 2017 (online)

Prävention ist in aller Munde. Lange schon. Genau genommen mindestens seit rund 2600 vor Christus, als der chinesische Urkaiser Huángdì im Nèijīng („Die Medizin des Gelben Kaisers“) anmerkte, die besten Ärzte seien solche, die Krankheiten vorbeugten. Und Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) mahnte: „Gesund bleiben und lang leben will jedermann, aber die wenigsten tun etwas dafür. Wenn die Menschen nur halb so viel Sorgfalt darauf verwenden würden, gesund zu bleiben und verständig zu leben, wie sie heute darauf verwenden, um krank zu werden, die Hälfte der Krankheiten bliebe ihnen erspart.“

Wozu aber noch Prävention? Es geht uns doch gut. Nahezu allerorts auf der Welt stieg in den letzten 160 Jahren die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt um 2 Jahre pro Dekade (www.mortality.org).

Wird dieser Trend absehbar durchbrochen werden? Ende 2016 ließen Statistiken aus den Vereinigten Staaten aufhorchen. Erstmals seit 1993, als die HIV-bedingten Todes fälle auf ihrem Höhepunkt waren, ging die durchschnittliche Lebenserwartung der US-Amerikaner im Jahr 2015 gegenüber 2014 von 78,9 auf 78,8 Jahre zurück (https://www.cdc.gov/nchs/products/databriefs/db267.htm).

Wie ist es nun um die Qualität unseres vergleichsweise langen Lebens bestellt, sind zusätzliche Jahre auch gute Jahre?

Deutschland wendete im Jahr 2014 10,9 % des Bruttoinlandprodukts für das Gesundheitswesen auf und belegte damit (gemeinsam mit Belgien) und hinter den Niederlanden (11,8 %) und Frankreich (11,2 %) den dritten Rang unter den Staaten der Europäischen Union (http://ec.europa.eu/eurostat). Die mittleren Lebenserwartungen in der Europäischen Union liegen zwischen 83,3 (Spanien) und 74,5 Jahren (Lettland). Deutschland nimmt 2014 mit einer mittleren Lebenserwartung von 81,2 Jahren den 16. Rang von 28 EU-Staaten ein. Schon das ist angesichts seiner hohen Ausgaben für Gesundheit unbefriedigend.

Kritischer ist Folgendes: Die mittlere Erwartung an „gesunden Lebensjahren“, bewegt sich in der Euro päischen Union zwischen 73,6 (Schweden) und 53,4 Jahren (Lettland). Sie betrug im Jahr 2014 in Deutschland 56,5 Jahre, womit Deutschland Rang 25 (!) unter 28 EU-Staaten einnimmt. Damit ergibt sich eine Lücke von annährend 25 Jahren, in denen Deutsche im Mittel an chronischen Erkrankungen leiden, der größte Unterschied zwischen der statistischen Lebenserwartung und der Zahl an gesunden Lebensjahren in der gesamten Europäischen Union.

Das deutsche Gesundheitswesen ist damit durch hohe Kosten bei offenbar geringer Lebensqualität gekennzeichnet. Wenngleich viele Gründe für diesen Befund gesucht werden können: Unter dem Strich scheint es schlecht bestellt um die Prävention chronischer Erkrankungen und Stand heute sind wir alles andere als „Fit für die Zukunft“.

Mit einfachen Laboruntersuchungen lassen sich Risiken für chronische Erkrankungen leicht identifizieren, um dann gezielte Vorsorgemaßnahmen einzuleiten. Allem Anschein nach werden diese Chancen aber nicht genutzt. Stattdessen soll mit Instrumenten wie dem „Wirtschaftlichkeitsbonus“, gleichermaßen dirigistisch wie auch unwirksam, die „Menge gesteuert“ und die Unterlassung diagnostischer Maßnahmen belohnt werden. Ohne Zweifel nimmt die Zahl der in Deutschland erbrachten Laborleistungen zu. Das ist bei im Durschnitt 25 Jahren, die uns chronische Krankheiten in der Lebensspanne begleiten, auch keine wirkliche Überraschung. Was aber wäre zu erreichen, wenn die für den „Wirtschaftlichkeitsbonus“ aufgewendeten jährlich 300 Millionen Euro für die Strukturierung konzertierter, evidenzbasierter Screening-Programme verwendet würden?

Im vorliegenden Heft werden Laboruntersuchungen und diagnostische Pfade mit „präventivem“ Charakter abgehandelt: Darmkrebs-Screening, Labordiagnostik bei Hyper tonie und die approximative Bestimmung der Nierenfunktion. Und schließlich hat auch der medizinrechtliche Beitrag des Heftes einen „präventiven“ Anspruch, soll er doch dafür sorgen, dass wir uns doch bei der täglichen Arbeit nicht im eng gewobenen Netz des neuen „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheits wesen“ verheddern.