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DOI: 10.1055/s-0043-104728
Kongenitaler melanozytärer Riesennaevus
Publication History
Publication Date:
23 May 2017 (online)
Fallpräsentation
Reifes männliches Neugeborenes, Geburtsgewicht 3795 g, Länge 56 cm, Kopfumfang 36,5 cm. Kind einer 32-jährigen 2.-Gravida/2.-Para, Geburt durch primäre Re-Sectio mit 39+0 Schwangerschaftswochen nach unkompliziertem Schwangerschaftsverlauf, APGAR 10/10/10. Unauffällige Familienanamnese, insbesondere keine Hauterkrankungen; die 2-jährige Schwester des Patienten ist gesund.
Postnatal konnte die Blickdiagnose eines kongenitalen melanozytären Riesennaevus gestellt werden. Das Kind fiel durch ein großflächiges, unregelmäßig dunkelbraun bis braunschwarz pigmentiertes Hautareal auf, welches fast den gesamten Rücken bedeckte ([Abb. 1]). Zusätzlich fanden sich zahlreiche kleinere, dunkel pigmentierte Hautareale in der Glutäalregion, im Nacken sowie auf der rechten Wange ([Abb. 2]). Die Hautareale waren in ihrer Struktur teilweise verrukös verändert und besonders im Gesichtsbereich auch behaart.
Im Alter von 9 Wochen wurde durch ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Neurokraniums und des Spinalkanals unter Verwendung von Gadolinium als Kontrastmittel eine leptomeningeale Beteiligung ausgeschlossen. Die zerebrale Anatomie war unauffällig, es ergaben sich keine Hinweise auf eine Fehlbildung.
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Kommentar
Kongenitale Melanozytäre Naevi (KMN) sind bei der Geburt vorhanden oder treten spätestens im Neugeborenenalter auf. Man findet sie bei 3–6% aller Neugeborenen. Sie entwickeln sich aus einer Ansammlung von Melanozyten, welche während der Embryogenese von der Neuralleiste auswandern, sich im Bereich der Dermis ansiedeln und hier, im Gegensatz zu erworbenen Naevuszellnaevi, oft auch die unteren 2/3 der Dermis durchsetzen. Im Kindesalter vergrößern sie sich proportional zum Wachstum der Haut [1].
Kongenitale Riesennaevi treten mit einer Inzidenz von 1:500000 auf und gehören somit zu den sehr seltenen Hautveränderungen. Sie finden sich oft über dem dorsalen Stamm, können aber auch an den Extremitäten oder im Gesicht auftreten. In der Regel sind Riesennaevi unregelmäßig pigmentiert mit hell- bis dunkelbraunen oder braunschwarzen Arealen; in Einzelbeobachtungen wurde von einer spontanen Aufhellung im Verlauf des Kindesalters berichtet. Sie können in der Oberflächenbeschaffenheit verrukös verändert sein und schwarze Papeln oder Knoten enthalten. Häufig werden sie von Satellitennaevi begleitet, welche u. U. auch erst im Verlauf des ersten Lebensjahres auftreten.
Bei Lokalisation über der Wirbelsäule oder Einbeziehung des Schädels sowie bei Vorliegen von zahlreichen Satellitennaevi besteht ein erhöhtes Risiko einer neurokutanen Melanose, weshalb innerhalb der ersten 6 Lebenswochen ein MRT von Schädel und Rückenmark erfolgen sollte. Bei der neurokutanen Melanose handelt es sich um eine Infiltration der Leptomeningen durch aus der Neuralleiste ausgewanderten Melanozyten; die Häufigkeit wird für große KMN mit 3–5% angegeben [2] [3]. Der überwiegende Anteil der Patienten mit neurokutaner Melanose bleibt klinisch unauffällig; mögliche Komplikationen sind Liquorzirkulationsstörungen mit Ausbildung eines Hydrozephalus internus bzw. einer Hirndrucksymptomatik, zerebrale Krampfanfälle oder Rückenmarkskompression.
Im Hinblick auf die Behandlung muss neben kosmetischen und psychologischen Aspekten auch das Risiko einer malignen Entartung berücksichtigt werden, welches mit zunehmender Ausdehnung stark ansteigt. Daher erfolgt die Einteilung anhand der Größe, welche die Veränderung voraussichtlich im Erwachsenenalter erreichen wird, in kleine (Durchmesser <1,5 cm), mittelgroße (Durchmesser 1,5–10 cm) und große (Durchmesser 10–20 cm) KMN. Von den großen wird der kongenitale melanozytäre Riesennaevus (Durchmesser >20 cm), der in seiner Ausdehnung einen erheblichen Teil einer gesamten anatomischen Körperregion bedeckt, als problematische Form abgegrenzt. Bei kleinen Naevi ist das Entartungsrisiko sehr gering und liegt im Promillebereich; bei mittelgroßen Naevi wurde ein Risiko von ca. 1% errechnet; es steigt bei Riesennaevi auf 2(−6)%, wovon die Hälfte innerhalb der ersten 4–5 Lebensjahre entarten [2] [3] [4] [5].
Therapeutisch werden serielle Teilexzisionen beginnend mit 10–12 Monaten mit dem Ziel der (sub)totalen Exzision des Riesennaevus (nicht der Satelliten) empfohlen, wodurch auch das Risiko der malignen Entartung gesenkt werden kann [5] [6] [7]. Die mitunter alternativ angebotene Abtragung der gesamten betroffenen Epidermis (Dermabrasio) beinhaltet dagegen ein erhöhtes Infektionsrisiko und beseitigt weder die zahlreichen dermalen Pigmentnester noch die assoziierte Hypertrichose; auch für die Reduktion der Entartungswahrscheinlichkeit gibt es keine Evidenz. Das serielle chirurgische Vorgehen ist sehr aufwendig, eine Vorbehandlung mit Hautexpandern möglich, das kosmetische Ergebnis nicht immer befriedigend. Bis zur kompletten Entfernung ist ein engmaschiges videodermatoskopisches Monitoring der Läsion erforderlich.
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Literatur
- 1 Hauschild A, Garbe C, Bauer J. et al. Leitlinie Melanozytäre Nävi. JDDG 2006; 4: 686-697
- 2 Bittencourt FV, Marghoob AA, Kopf AW. et al. Large congenital melanocytic nevi and the risk for development of malignant melanoma and neurocutaneous melanocytosis. Pediatrics 2000; 106: 736-741
- 3 Kinsler VA, Chong WK, Aylett SE. et al. Complications of congenital melanocytic naevi in children: analysis of 16 years´ experience and clinical practice. Brit J Dermatol 2008; 159: 907-914
- 4 Krengel S, Hauschild A, Schäfer T. Melanoma risk in congenital melanocytic naevi: A systematic review. Br J Dermatol 2006; 155: 1-8
- 5 Marghoob AA, Agero ALC, Benvenuto-Andrade C. et al. Large congenital melanocytic nevi, risk of cutaneous melanoma, and prophylactic surgery. J Am Acad Dermatol 2006; 54: 868-870
- 6 Arad E, Zuker RM. The shifting paradigm in the management of giant congenital melanocytic nevi: review and clinical applications. Plast Reconstr Surg 2014; 133: 367-376
- 7 Hassanein AH, Rogers GF, Greene AK. Management of challenging congenital melanocytic nevi: outcomes study of serial excision. J Pediatr Surg 2015; 50: 613-616