Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(06): e26
DOI: 10.1055/s-0042-1749736
Abstracts | MGFG

Drohender Spätabort im Rahmen einer schweren COVID-19-Infektion unter vv-ECMO – ein ethisches Dilemma

S Homeister
1   Universitätsklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
,
L Homeister
2   Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
,
M Riemer
3   Universitätsklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
,
J Schildmann
4   Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wiitenberg
,
M Tchirikov
5   Universitätsklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg
› Institutsangaben
 

Insgesamt wurden seit Beginn der COVID-19-Pandemie über 490 Mio. infizierte Personen weltweit und ca. 6,17 Mio. Todesfälle registriert (Stand 04/22). Schwangere stellen im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion eine besonders gefährdete Patientenpopulation dar. Physiologische Veränderungen führen zu erhöhter Infektanfälligkeit, v.a. durch Verschiebung der Immunantwort zu T2-Helferzellen. Peripartale Anpassungen begünstigen hierbei die Anfälligkeit gegenüber Viruserkrankungen. Ein weiterer Risikofaktor für schwere Verläufe sind verringerte maternale pulmonale Volumina. In retrospektiven Analysen zeigten sich 6-fach höhere Raten an intensivmedizinischen Behandlungen und bis zu 23-fach häufiger invasive Beatmungen.

Fallbericht Die 38-Jährige VIII. Gravida VI. Para wurde bei 20+2 SSW – aufgrund eines zunehmenden ARDS bei COVID-19 Infektion mit negativem Impfstatus – von extern auf die anästhesiologische ITS des Universitätsklinikums Halle verlegt. Aufgrund der rasanten Verschlechterung der pulmonalen Situation erfolgte am gleichen Tag die Anlage einer vv-ECMO. Sonografisch zeigte sich bei Aufnahme eine intakte Einlingsgravidität mit unauffälliger Biometrie und Doppler. Im Verlauf verschlechterte sich der Zustand der Patientin trotz maximalem ECMO-Support. Aufgrund von wiederholten hypoxischen Phasen und dem kritischen Gesamtzustand der Patientin wurde die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches nach §218 StGB evaluiert. Es fand eine interdisziplinäre Fallkonferenz unter Einbeziehung von Kolleg*innen der Intensivmedizin, der Perinatologie, des klinischen Ethikkomitees, der gesetzlichen Betreuerin und den Angehörigen der Patientin statt. Hierbei wurde nach intensiver Diskussion von Chancen-/Risiko-Abwägungen und unter Einbeziehung von ethischen Aspekten die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch getroffen. Vor geplanter Einleitung des Schwangerschaftsabbruches kam es zu einem hämorrhagischen Schock aufgrund einer Blutung aus der linken A. iliaca externa nach Neuanlage eines arteriellen Katheters. Konsekutiv kam es am Folgetag zum Spontanabort eines Fetus ohne Lebenszeichen.

Im Verlauf stabilisierte sich der Zustand der Patientin, so dass die ECMO 3 Wochen später explantiert werden und weitere 4 Tage später eine Verlegung im wachen und stabilen Allgemeinzustand heimatortnah ermöglicht werden konnte.

Diskussion Dieser Fall unterstreicht das Risiko von schweren Verläufen einer COVID-19-Infektion bei Schwangeren ohne Impfstatus. Aktuell sind kaum vergleichbare Fälle beschrieben, die zu der Diskussion von medizinisch-indizierten Spätabbrüchen nach §218 StGB im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion führten. Eine interdisziplinäre Fallkonferenz ist hierbei von besonderer Bedeutung, um die Entscheidung zum medizinisch-indizierten Spätabbruch treffen zu können. Die Beendigung der Schwangerschaft, welche im geschilderten Fall komplikationsbedingt eintrat, hat womöglich zum Überleben der Patientin beigetragen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
10. Juni 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany