Kinder- und Jugendmedizin 2022; 22(02): 122
DOI: 10.1055/s-0042-1744076
Abstract | KJM

Genetische Modifikatoren der Sichelzellkrankheit: Analyse einer ethnisch heterogenen Patientengruppe unter Therapie mit Hydroxycarbamid

Pierre Allard
 

Das GPOH-Register Sichelzellkrankheit dokumentiert Daten über Diagnose, Genotyp, Behandlung, Laborparameter (einschließlich Hämoglobin, Hämoglobin-F-Anteil, MCV, Retikulozyten, Bilirubin, LDH) sowie Komplikationen von Sichelzellpatienten in Deutschland. Aktuell sind 528 Patienten (74% HbSS, 11% HbSC, 6% HbS-β0-Thalassämie, 7% HbS-β+-Thalassämie, 1% andere Genotypen) registriert worden. Neben dem β -Globin-Genotyp und dem Vorhandensein einer α-Thalassämie wurden die Patienten auf vier genetische Modifikatoren der HbF-Synthese (BCL11A rs 1427407, rs 7606173; HMIP rs 9399137; Gγ-Globin-Promoter Xmn1-Polymorphismus) getestet. Diese Modifikatoren wurden ausgewählt, da Studien zeigen konnten, dass sie unabhängig mit höherem HbF-Anteil sowie funktionell mit der Regulation der γ-Globin-Synthese durch Bindung von Transkriptionsfaktoren assoziiert sind. Hier wollen wir die Häufigkeit der genetischen Modifikatoren bei Sichelzellpatienten, die in Deutschland behandelt werden, beschreiben sowie mögliche Zusammenhänge zwischen genetischen Merkmalen, Laborparametern und Komplikationen der Sichelzellkrankheit.

Im Vergleich zu anderen Kohorten sind Patienten in Deutschland ethnisch heterogen und werden überwiegend mit Hydroxycarbamid behandelt. Die Häufigkeit der genetischen Modifikatoren in dem BCL11A-Lokus stimmen mit dem Hardy-Weinberg-Gleichgewicht überein und zeigen somit, dass diese Modifikatoren gleichmäßig zwischen den ethnischen Gruppen der Sichelzellpatienten in Deutschland verteilt sind. Im Gegensatz dazu treten Homozygotie für α+-Thalassämie und HMIP-Polymorphismus häufiger als vorhergesagt auf und weisen darauf hin, dass interethnische und/oder blutsverwandte Ehen zur Vererbung der Sichelkrankheit beitragen. Der mittlere HbF-Anteil bei Patienten über zwei Jahren mit dem Genotyp HbSS und unter Hydroxycarbamid-Therapie (HU; n=244) liegt bei 17.1% (Median 16.7%, SD 9.3%) und ist somit erheblich höher als bei anderen publizierten Kohorten, die nicht mit HU therapiert wurden. Wir haben den Effekt von genetischen Modifikatoren der HbF-Synthese auf Laborparamater bei Patienten über zwei Jahren mit dem Genotyp HbSS und unter Hydroxycarbamid-Therapie analysiert. Um den kombinierten Effekt aller Polymorphismen darstellen zu können, haben wir einen Score genutzt, der die Anzahl der Allele, die die HbF-Expression vermutlich steigern, zusammenfasst (homozygot Wildtyp=0, heterozygot=1, homozygot=2 für jeden Polymorphismus, minimaler Score=0, maximaler Score=8). Diese Analyse zeigt, dass eine Gruppe von Patienten mit vier oder mehr HbF-steigernden Allele einen höheren HbF-Anteil (21,3%) und Hämoglobin-Wert (9,69 g/dl), aber einen niedrigeren Retikulozyten-Anteil (59‰) vorweist als die restlichen 75% der Patienten die drei oder weniger HbF-steigernde Allele besitzen (HbF-Anteil 15,3%, Hb 8,67 g/dl, Retikulozyten 75‰). Weiterhin werden wir den Zusammenhang zwischen genetischen Merkmalen und die Komplikationen der Sichelzellkrankheit – unter anderem vasookklusive Schmerzkrisen und akute Thoraxsyndrome – analysieren und wollen Patienten mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf der Sichelzellkrankheit trotz HU-Therapie identifizieren.



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Article published online:
20 April 2022

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