Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2016; 13(03): 114-115
DOI: 10.1055/s-0042-112015
Aktuell diskutiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dissertationspreis – Adjuvante Strahlentherapie im Rahmen der brusterhaltenden Therapie: eine Bevölkerungsbezogene Kohortenanalyse

Contributor(s):
S. Corradini
1   Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
M. Niyazi
1   Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
R. Eckel
2   Tumorregister München (TRM) des Tumorzentrums München (TZM) am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), der Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
G. Schubert-Fritschle
2   Tumorregister München (TRM) des Tumorzentrums München (TZM) am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), der Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
H. R. Scheithauer
1   Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
N. Harbeck
3   Brustzentrum, Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
J. Engel
2   Tumorregister München (TRM) des Tumorzentrums München (TZM) am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), der Ludwig-Maximilians-Universität, München
,
C. Belka
1   Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, München
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 October 2016 (online)

Die Einführung der brusterhaltenden Operation gefolgt von einer postoperativen Strahlentherapie war ein Meilenstein in der Therapie des Mammakarzinoms. Die Veröffentlichung der Ergebnisse großer randomisierter Studien, Mitte der 1980er Jahre ebnete den Weg für die brusterhaltende Therapie [1, 2]. In diesen Studien konnte einerseits die onkologische Gleichwertigkeit der brusterhaltenden Therapie mit der modifiziert radikalen Mastektomie und andererseits die signifikante Senkung der Lokalrezidivrate durch die postoperative Bestrahlung nach brusterhaltender Operation gezeigt werden. Des Weiteren konnten die Studien auch im Langzeit-Follow-up ein vergleichbares Gesamtüberleben bestätigen, so dass sich die brusterhaltende Therapie als neuer Therapiestandard durchsetzen konnte [3]. Die postoperative Strahlentherapie als integraler Bestandteil der brusterhaltenden Therapie ist mittlerweile unbestritten.

In der vorliegenden Studie wurden brustkrebsbezogene epidemiologische und klinische Daten von 30 811 Patientinnen aus dem Einzugsgebiet des Tumorregisters München mit der Erstdiagnose eines Mammakarzinoms zwischen 1998 und 2012 ausgewertet. Die Ergebnisse wurden bereits im Journal „Radiotherapy and Oncology“ publiziert und werden hier im Rahmen der Verleihung des Dissertationspreises der DGS kurz zusammengefasst [4]. Endpunkt der Analyse war der Einfluss der Strahlentherapie auf zentrale onkologische Endpunkte wie lokoregionäres rezidivfreies Überleben, distantes metastasenfreies Überleben und Gesamtüberleben. Prognostische Faktoren wurden mittels multivariater Cox-Regressionsanalyse identifiziert. Des Weiteren wurden mittels logistischer Regressionsanalyse mögliche Einflussgrößen identifiziert, welche mit einem Verzicht auf die postoperative Strahlentherapie korrelierten.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine inkomplette brusterhaltende Therapie mit Verzicht auf die postoperative Strahlentherapie in 13,7 % der Fälle festzustellen war. Im untersuchten Zeitraum zeigte sich ein kontinuierlicher Anstieg der brusterhaltenden Therapie mit Durchführung der adjuvanten Radiatio. Während 1998 lediglich 81,0 % eine postoperative Strahlentherapie erhielten, stieg der Anteil auf 90,7 % in 2012 an ( [Abb. 1]).

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Abb. 1 Brusterhaltende Therapie: Anzahl nach Diagnosejahr und Anteil der brusterhaltenden Operation (brusterhaltende Operation + Radiotherapie: hellgrau; brusterhaltende Operation alleine: dunkelgrau).

Bezüglich der onkologischen Endpunkte lag die lokoregionär rezidivfreie Überlebensrate für Patienten, welche eine postoperative Strahlentherapie erhielten, nach 10-Jahren bei 90,8 %, im Gegensatz zu 77,6 % (p < 0,001;  [Abb. 2]) für Patienten welche keine Strahlentherapie erhielten. In der multivariaten Analyse bestätigten sich bekannte Risikofaktoren für ein lokoregionäres Rezidivgeschehen: junges Alter, positiver Nodalstatus, große Tumorgröße, schlechter Differenzierungsgrad, sowie negativer Hormonrezeptorstatus (jeweils p < 0,001). Diese Ergebnisse, insbesondere das Risiko für ein lokoregionäres Rezidiv bei Verzicht auf die postoperative Strahlentherapie (Hazard Ratio [HR] 0,350; 95 %-CI 0,309-0,397; p < 0,001), bestätigen die Erkenntnisse großer randomisierter Studien in der klinischen Realität [3]. Das Gesamtüberleben nach 10 Jahren lag für die bestrahlten Patienten bei 82,2 % und bei Verzicht auf die adjuvante Radiatio bei 55,5 % (p < 0,001).

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Abb. 2 Lokoregionär rezidivfreies Überleben (mit freundlicher Genehmigung von Elsevier) [4].

Auch hier erwiesen sich die o. g. Faktoren als unabhängige Prädiktoren für ein besseres Gesamtüberleben in der multivariaten Analyse (jeweils p < 0,001). Ein rein kausaler Zusammenhang zwischen der Verbesserung des Gesamtüberlebens um absolut 27,0 % nach 10 Jahren und der postoperativen Strahlentherapie erscheint jedoch äußerst unwahrscheinlich. Hierin besteht eine der Limitationen der vorliegenden Arbeit. Neben den bekannten Vorteilen epidemiologischer Analysen, wie beispielsweise der großen Fallzahl, der langen Nachbeobachtungszeit und der Abbildung klinischer Realitäten, bestehen gewisse Nachteile [5]. Ein Selektionsbias mit Imbalancen der Patientencharakteristika (z. B. aufgrund von Komorbiditäten) kann mit einem verringerten Gesamtüberleben korrelieren. Des Weiteren war in der vorliegenden Studie ein Verzicht auf die postoperative Strahlentherapie häufig mit einem Verzicht auf adjuvante systemische Therapien (Chemotherapie und / oder antihormonelle Therapie) verbunden. Beide genannten Faktoren können Auswirkungen auf das Gesamtüberleben haben. Außerdem können weitere unbekannte Störfaktoren im Rahmen der klinischen Entscheidungsfindung, wie beispielsweise Bevorzugung individueller Therapieentscheidungen, das Ergebnis beeinflussen [5]. Gleiches gilt bezüglich der Frage, welche Faktoren zu einem Verzicht auf die postoperative Strahlentherapie geführt haben. Die logistische Regressionsanalyse zeigte, dass vor allem Patientinnen im fortgeschrittenem Alter signifikant seltener eine postoperative Strahlentherapie erhielten als jüngere Patientinnen (Alter ≥ 80 Jahre: OR 0,082; 95 %-CI 0,071-0,094; p < 0,001). In dieser Altersgruppe wurde lediglich bei 52,7 % der Fälle eine adjuvante Radiotherapie durchgeführt. Im Gegensatz dazu wurden Patienten mit positivem Nodalstatus und schlechtem Differenzierungsgrad signifikant häufiger postoperativ bestrahlt.

Zusammenfassend dokumentiert die vorliegende Arbeit die erfolgreiche Implementierung der adjuvanten Strahlentherapie im Rahmen der brusterhaltenden Therapie im klinischen Alltag in einer großen epidemiologischen Kohorte. Zusätzlich konnte die Effektivität der postoperativen Strahlentherapie, insbesondere im Hinblick auf die lokale Kontrolle der Tumorerkrankung in der klinischen Praxis, außerhalb der hochselektierten und intensiv betreuten Patientenkollektiven von klinischen Studien, bestätigt werden.

 
  • Literatur

  • 1 Fisher B et al. 5-year results of a randomized clinical-trial comparing total mastectomy and segmental mastectomy with or without radiation in the treatment of breast-cancer. N Engl J Med 1985; 312: 665-673
  • 2 Veronesi U et al. Local-control and survival in early breast-cancer – The Milan Trial. Int J Radiat Oncol. Biol Phys 1986; 12: 717-720
  • 3 Early Breast Cancer Trialists‘ Collaborative Group (EBCTCG) et al. Effect of radiotherapy after breast-conserving surgery on 10-year recurrence and 15-year breast cancer death: meta-analysis of individual patient data for 10 801 women in 17 randomised trials. Lancet 2011; 378: 1707-1716
  • 4 Corradini S et al. Adjuvant radiotherapy after breast conserving surgery – a comparative effectiveness research study. Radiother Oncol 2015; 114: 28-34
  • 5 Hershman DL, Wright JD. Comparative effectiveness research in oncology methodology: observational data. J Clin Oncol 2012; 30: 4215-4222