Gesundheitswesen 2017; 79(01): 37-41
DOI: 10.1055/s-0042-108583
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teilhabe als Ziel von Sozialmedizin und Pflege: – Definition von Pflegebedürftigkeit – Prävention von Pflegebedürftigkeit

Participation as Target of Social Medicine and Nursing Care: – Legal Definition of Long-Term Care Dependency – Strategies to Prevent Long-Term Care Dependency
Elisabeth Nüchtern
1   ehem. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg, Fachbereich Allgemeine Sozialmedizin, Karlsruhe
,
Barbara Gansweid
2   Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe, Leiterin des Fachreferates Pflege, Leiterin der Sozialmedizinischen Expertengruppe ,,Pflege‘‘ der MDK-Gemeinschaft, Bielefeld
,
Hans Gerber
3   ehem. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Bayern, Leitender Arzt – Leiter der Sozialmedizinischen Expertengruppe ,,Pflege‘‘ der MDK-Gemeinschaft, München
,
Gert von Mittelstaedt
4   Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, Präsident, Mannheim
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Juni 2016 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz wird 2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) wird künftig umfassender definiert. Aus diesem Anlass werden aus der Arbeitsgruppe „Pflege“ des Fachbereichs „Praktische Sozialmedizin und Rehabilitation“ der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, DGSMP, aus sozialmedizinischer Sicht Aspekte zur Definition von Pflegebedürftigkeit sowie zur Prävention von Pflegebedürftigkeit erörtert. Sie bilden den Auftakt zu weiteren Publikationen der Arbeitsgruppe.

Methode: Sowohl die Definition von Pflegebedürftigkeit wie die Ansatzpunkte, um Pflegebedürftigkeit entgegen zu wirken, werden aus sozialmedizinischer Perspektive systematisch betrachtet. Dabei wird Bezug genommen auf das Konzept der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, ICF; stellt doch Pflegebedürftigkeit einen definierten Zustand von Behinderung dar.

Ergebnisse: Der neue wie der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff fokussieren gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit in den alltäglichen Aktivitäten. Pflegebedürftigkeit sozialmedizinisch zu betrachten, heißt, die Wechselwirkungen zwischen den vorliegenden Gesundheitsproblemen, ihren Auswirkungen auf die täglichen Aktivitäten und personbezogenen sowie externen Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Unter diesem Blickwinkel lassen sich Ansatzpunkte für Präventions- und Rehabilitationsleistungen systematisch identifizieren, um dem Entstehen und Fortschreiten von Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken. Die Bezugnahme auf das Konzept der ICF kann dabei die Kommunikation zwischen den beteiligten Berufsgruppen erleichtern. Die neue Graduierung der Pflegebedürftigkeit ließe sich mit Hilfe der ICF auch international „übersetzen“.

Schlussfolgerung: Sozialmedizinische Gutachter, Pflegegutachter, Pflegende und Pflegewissenschaftler verbindet das Ziel, dass pflegebedürftige Menschen an den ihnen wichtigen Lebensbereichen möglichst lange und möglichst selbstbestimmt teilhaben können. Die sozialmedizinische Sicht auf Pflegebedürftigkeit ist für alle Berufsgruppen und ihre erfolgreiche Zusammenarbeit wichtig.

Abstract

Objective: By the “Second Bill to Strengthen Long-Term Care”, a new concept of long-term care dependency will be introduced, valid from 2017. Long-term care dependency according to Social Code XI will be defined covering more aspects than today. Therefore, the working group “Nursing Care” of the division “Social Medicine in Practice and Rehabilitation” in the German Society for Social Medicine and Prevention presents their results after working on the social medicine perspective of the definition and prevention of long-term care dependency.

Methods: Both the definition and strategies to prevent long-term care dependency are systematically taken into consideration from the point of view of social medicine on the basis of the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), as long-term care dependency means a defined condition of disability.

Results: Both the current and the new concept of long-term care dependency focus activity limitations. The perspective of social medicine considers the interactions of health condition, its effects on daily activities and personal as well as environmental factors. From this point of view approaches for social benefits concerning prevention and rehabilitation can be identified systematically so as to work against the development and progression of long-term care dependency. The reference to the ICF can facilitate the communication between different professions. The new “graduation” of long-term care dependency would allow an international “translation” referring to the ICF.

Conclusion: Experts from the field of social medicine as well as those of nursing care, care-givers and nursing researchers have in common the objective that persons in need of nursing care can participate in as many aspects of life of importance to them in an autonomous and self-determined way. The point of view of social medicine on long-term care dependency is fundamental for all occupational groups that are involved and for their successful cooperation.