Z Gastroenterol 2016; 54(05): 510-511
DOI: 10.1055/s-0042-106312
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GOÄ-Novellierung – Geschichte ohne Ende – oder war das schon das Ende?

Franz Josef Heil
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Mai 2016 (online)

Wir alle kennen die GOÄ gut: 1983 wurde sie in Kraft gesetzt und ist seitdem fast unverändert geblieben. 1996 wurde der Punktwert von 10 auf 11,4 Pfennig angehoben und zum 1.1.2002 auf 5,82873 Cent umgerechnet. Weitere Änderungen gab es nicht. Seit 20 Jahren werden unsere Leistungen völlig unverändert bezahlt. Medizinischer Fortschritt und Inflation sind an der GOÄ spurlos vorübergegangen.

Bereits 1982 schrieb F. Nienhaus im Dt. Ärzteblatt: „Der Staat sollte zukünftig an die laufende Fortentwicklung der amtlichen Gebührenordnung denken, denn das jahrelange Nichtstun seit 1965 hat sich in keiner Weise bewährt“. Genützt hat die Aufforderung nichts. Erst 2005 kamen nach einem Beschluss des Ärztetages die ersten Überlegungen zur längst überfälligen Reform der GOÄ. In der neuen GOÄ sollten betriebswirtschaftliche Berechnungen einfließen, um die von der Bundesärztekammer (BÄK) auf 69 Prozent (Theodor Windhorst, 2011) geschätzte Inflationsrate aufzufangen.

Die Novellierung begann in den Berufsverbänden mit viel Schwung. Von 2007 bis 2010 waren sie intensiv mit der fachspezifischen Ausarbeitung der GOÄ beschäftigt. Mit viel Engagement und Aufwand wurden komplexe Berechnungen zu den Material- und Raumkosten, zum Zeit- und Personalbedarf etc. erstellt. Es entstanden vollständig neue Leistungslegenden, die die Anforderungen einer modernen Medizin abbilden sollten. Allen voran hat Andreas Leodolter, Herne, das Kapitel „Gastroenterologie“ ausgearbeitet, in ständigem Austausch mit Kollegen aus BDI, BVGD und bng. Sehr intensiv haben wir die Legenden unter Beteiligung des bng-Beirats diskutiert und umformuliert.

Die BÄK hatte dabei im Hintergrund stets „externe Sachverständige“, die unsere Vorlagen immer wieder ohne Begründung änderten. Diese „Sachverständigen“ sind den Berufsverbänden bis heute unbekannt und traten öffentlich auch nie in Erscheinung. Eine offene Diskussion war nicht gefragt. Im August 2010 hatte die BÄK die Entwicklung der Leistungslegenden vorläufig abgeschlossen. Über die Bewertung der Leistungsziffern wurde niemand informiert, die GOÄ sollte jedoch noch in der laufenden Legislaturperiode, d. h. vor 2013 verabschiedet werden.

Ab 2011 steckte die GOÄ-Reform dann fest. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) forderte eine Einigung zwischen der BÄK und dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) auf ein gemeinsames Konzept, was offensichtlich nicht gelang. Eine Beteiligung der Berufsverbände an der Weiterentwicklung der GOÄ fand seit 2010 nicht mehr statt.

2013 wurde die zur Überbrückung längst überfällige Punktwerterhöhung der alten GOÄ vom BMG abgelehnt. Die BÄK korrigierte daraufhin ihre Forderung nach einem Inflationsausgleich auf 30,4 Prozent und nahm die Verhandlungen mit der PKV wieder auf. Im September 2013 wurde zwischen BÄK und PKV eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, die 2015 in den sogenannten Paragraphenteil, d. h. den allgemeinen Teil des GOÄ-Vorschlags mündete.

Inhaltlich war und ist dieser GOÄ-Teil in der Ärzteschaft wegen seiner systemverändernden Bestimmungen sehr umstritten. So soll es neben einem „robusten Einfachsatz“, der in etwa dem jetzigen 2,3-fachen Satz entsprechen soll, nur noch ein Steigerung auf das Zweifache geben. Eine individuelle Differenzierung der Steigerung, wie wir sie bisher kennen, soll es nicht mehr geben. Außerdem soll eine „Gemeinsame Kommission (GeKo)“ mit weitreichenden Befugnissen zur Weiterentwicklung der GOÄ eingerichtet werden. Sie entscheidet z. B. über die Zulässigkeit von Analogbewertungen und die Rechtmäßigkeit von Steigerungssätzen. Außerdem soll sie die Auswirkungen der GOÄ auf das Gesamthonorar prüfen. Falls die Honorarentwicklung einen vereinbarten Korridor überschreiten sollte, soll die GeKo die Bewertungen der GOÄ-Leistungen zur „Korrektur von Fehlentwicklungen“ überprüfen und anpassen. Das entspräche weitgehend dem System des EBM und der Einführung eines Gesamtbudgets, wie wir es als „Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung“ (MGV) aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenkassen kennen.

Der 2011 von der BÄK errechnete 69 Prozent-Inflationsausgleich war bis September 2015 zur Forderung nach einer Steigerung „im zweistelligen Bereich über alle Bereiche“ geschrumpft. Aber selbst diese Ankündigung von Windhorst wurde inzwischen nach unten revidiert. Zuletzt war im März 2016 nur noch von einer Honorarsteigerung im Gesamtergebnis von 6 Prozent die Rede. Entgegen aller Ankündigungen müsste es also nicht nur Gewinner sondern auch Verlierer geben.

Ein Sonderärztetag, der auf Druck von Berufsverbänden und Landesärztekammern am 23.01.2016 stattfand, hat den Kurs der BÄK nach heftiger Diskussion zunächst bestätigt. Eine Gesamtfassung der GOÄ wurde dort aber nicht vorgelegt. Die GOÄ blieb eine „Katze im Sack“.

Am 08.03.2016 lud die BÄK ausgewählte Verbände zur Information über den Sachstand der GOÄ-Novellierung ein. Von den fachärztlichen Berufsverbänden, die an der Ausarbeitung der GOÄ bis 2010 gearbeitet hatten, war kein einziger eingeladen. In einer konzertierten Aktion haben diese Verbände zusammen mit dem Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) dennoch an dieser Veranstaltung teilgenommen, auch der bng war dort. Seitens der BÄK wurde vorgetragen, dass es eine konsentierte GOÄ mit Leistungslegenden und -bewertungen gäbe, die dem BMG vorgelegt werden solle. BÄK-Präsident Franz Ulrich Montgomery sagte zu, dass den Berufsverbänden nach dem angekündigten Beschluss des BÄK-Vorstandes am 17./18.3.16 eine CD mit dieser GOÄ-Version zugeschickt werde. Erhalten haben die Verbände bis heute nichts.

Denn nur wenige Tage später, am 17.03.16, kam es zum Paukenschlag: Der Vorstand der BÄK hat die Vorlage zur GOÄ-neu gestoppt. Offensichtlich kannten nicht nur die Berufsverbände die Leistungslegenden und -bewertungen nicht, sondern dem BÄK-Vorstand ging es genauso. Ob es sich dabei um einen konsentierten BÄK-Entwurf oder um einen unerwarteten Gegenentwurf der PKV handelte, spielt letztlich keine Rolle mehr. Die Sache ist krachend gescheitert, und das hatte Konsequenzen: Unmittelbar nach der BÄK-Entscheidung warf Theodor Windhorst das Handtuch und trat als Verhandlungsführer der BÄK zurück. Nun wird die misslungene GOÄ-Novellierung also doch noch zur Chefsache, der sich BÄK-Präsident Montgomery annehmen muss. Eine Verabschiedung der GOÄ noch in dieser Legislaturperiode ist inzwischen fast ausgeschlossen, zumal die SPD durch Karl Lauterbach bereits Widerstand angekündigt hat.

Im Interview mit dem Dt. Ärzteblatt hat Montgomery erneut „ganz schnell den Kontakt und den Schulterschluss zu den Verbänden“ angekündigt. Wir sind gespannt. Oder haben wir bereits das Ende der GOÄ-Novellierung erlebt? Ich war noch Student, als die GOÄ eingeführt wurde. Ich schätze, sie wird noch unverändert sein, wenn ich – vielleicht in zehn Jahren – meine ärztliche Tätigkeit beenden werde. Ob die GOÄ dann aber überhaupt noch gilt oder durch einen Lauterbachschen Bürgerversicherungs-EBM ersetzt wurde, steht auf einem anderen Blatt.