Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(06): 362
DOI: 10.1055/s-0042-102028
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die psychiatrisch-psychologische Begutachtung

Contributor(s):
M. Weih
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Publication History

Publication Date:
08 July 2016 (online)

Nicht wenige Psychiater und auch klinische Psychologen sind für verschiedene Auftraggeber gutachterlich tätig. Gerade bei psychischen Störungen ist jedoch eine möglichst objektive Befunderhebung besonders schwierig, bzw. die nie ganz auszuschließende subjektive Beurteilung durch den Gutachter ein besonderes Problem. Um den Gutachter zu unterstützen, gibt es im deutschsprachigen Raum mehrere umfangreiche Standardwerke. Das kompakte Buch „Die psychiatrisch-psychologische Begutachtung – Ein Leitfaden für die Praxis“ aus dem Kohlhammer-Verlag in Stuttgart von Dr. med. U. Hofmann-Richter aus Luzern und Dr. phil. L. Pielmeier aus Aargau hebt sich jedoch angenehm aus der sonstigen Gutachtenliteratur heraus und hat mich positiv überrascht. Ich habe es mit zunehmender Freude gelesen. Zunächst jedoch zu den puren Fakten. Das Buch umfasst 214 Seiten mit einigen Tabellen, einigen Abbildungen und, für Bücher etwas ungewöhnlich, Mind-Maps und ist für den in der Begutachtung erfahrenen Psychiater bzw. klinischen Psychologen geschrieben, aber mindestens genauso für den „Neuling“ im schwierigen Feld der Begutachtung wertvoll. In der Grundgliederung des Buchs führen die Autorinnen nach einer kurzen Einleitung zu den Grundvoraussetzungen von der Vorbereitung des Gutachtens über das Verhalten während der Untersuchung bis zur Nachbearbeitung und der Texterstellung. Das Buch wird durch eine Nachlese und einen Anhang mit wertvollen Materialien abgerundet. Als Zusatzmaterial findet sich der Explorationsleitfaden als Textdokument, der über das Internet heruntergeladen werden kann. Das Inhaltsverzeichnis ist gut strukturiert. Die einzelnen Kapitel sind natürlich nicht einheitlich gegliedert, sondern mehr nach dem Inhalt strukturiert. Als didaktisch auflockernde Elemente kommen zahlreiche lange, gut lesbare Fallbeispiele, Textboxen mit Empfehlungen aus der Praxis, grafisch hervorgehobene Fragenlisten, strukturierende Mind-Maps und gliedernde Listen zum Einsatz. Der Text ist überdurchschnittlich gut lesbar, flüssig geschrieben mit klaren, nachvollziehbaren Gedankengängen und verliert sich erfreulicherweise nicht in redundanten Aussagen, Pseudowissenschaftlichkeit oder ausufernden Zahlenwerken z. B. zur Validität der Testverfahren, die eingesetzt werden können. Besonders gelungen finde ich den Abschnitt zur Aktenanalyse und die Empfehlung, ein Life-Chart zu verwenden, und das didaktische Konzept, im Verlauf des Buchs immer wieder auf bestimmte Fälle zurückzukommen, die als „roter Faden“ dienen. Dabei gelingt des den Autorinnen auch hervorragend, über den Tellerrand der medizinischen Begutachtung hin zu anderen Fachgebieten, wie der Dokumentenanalyse aus den Geschichtswissenschaften, hinauszublicken. Weitere „Highlights“ sind die besonders praxisnahen Kapitel zu häufigen Problemfällen; hier lasse ich das Buch für sich selbst sprechen: „Nichts als Geplauder; der Explorand redet wie ein Wasserfall; die Explorandin dominiert und kontrolliert die Untersuchung“. Das ist ideenreiche und unkonventionelle medizinische Literatur. Insgesamt ist Hoffman-Richter und Pielmeier ein Überraschungscoup im Gutachtensegment gelungen: Ein kompaktes, gut geschriebenes, unkonventionelles Buch zur Begutachtung mit gründlichem Sachverstand. Eine Alternative zum vorliegenden Werk gibt es schlicht und ergreifend nicht. Wer möchte, der sei natürlich auf die Standard-„Wälzer“ wie Ventzlaff-Förster oder Schneider-Frister verwiesen. Diese umfangreicheren Nachschlagewerke haben ihren Stellenwert. Wollen Sie Ihre Gutachtenpraxis aber überdenken, brauchen Sie einen frischen Wind, einen Denkanstoß oder erfreuen Sie sich einfach am Lesen, dann sollten Sie sofort zugreifen und sich in den „Leitfaden“ von Hoffmann-Richter und Pielmaier vertiefen.

Prof. Dr. Markus Weih, Nürnberg