Z Geburtshilfe Neonatol 2016; 220(01): 1
DOI: 10.1055/s-0042-101366
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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A. Strauss
1   Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Februar 2016 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

Selbstbestimmtes Schwangerschaftserleben und Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik – ein Widerspruch?

Die Pränataldiagnostik und im Besonderen die Errungenschaften der vorgeburtlichen Sonografie sind aus der medizinischen Begleitung von Schwangeren und ihren Partnern nicht mehr wegzudenken. Bei bestehendem Anspruch an eine somatisch sichere, psychisch befriedigende und bewusst gestaltete Schwangerschaft erscheint ein Verzicht auf pränataldiagnostisch-qualitätsgesicherte Schwangerschaftsüberwachung ein für viele inakzeptables Verantwortungsversäumis darzustellen. Die detailgenaue Ultraschalldarstellung verleiht dem Ungeborenen dabei bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt seiner intrauterinen Existenz einen Wirklichkeitscharakter, welcher als vermeintlich von der werdenden Mutter unabhängige Existenz erlebt werden kann. Der Nasciturus wird zum Baby, die Schwangerschaft zur technisch vermittelten Mutterschaft. Mehr als 80% aller Schwangeren in Deutschland nehmen über die im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen hinausgehende sonografische Pränataldiagnostik in Anspruch. Diesen Untersuchungsansätzen ist, eng verbunden mit den implizierten informativen Begehrlichkeiten, ein angst- und stressinduzierendes Potenzial zu eigen. Andererseits wird die Vermittlung eines unauffälligen Befundes als gewichtige Entlastung empfunden. Dabei vermag keine, wie auch immer geartete und von Empathie getragene aufklärende Verbalintervention den affirmativen Effekt einer visuellen Beziehungsaufnahme von Mutter und Kind zu überwiegen. Zur Beschreibung dieser Zwiespältigkeit des pränataldiagnostischen Wirklichkeitskonzepts kann somit das P. J. Reuter zugeschriebene Wort – ein Bild sagt mehr als tausend Worte – anschauliche Dienste leisten. Die Vielgestaltigkeit der Wahrnehmung vorgeburtlicher Diagnostik ist verschiedenen Aspekten geschuldet. Emotionale Vorbedingungen und Erleben von Pränataldiagnostik erfahren vor dem Hintergrund einer belasteten Anamnese, der individuellen mütterlichen Informations- und Wissensbasis, aber auch der Intention sich derartigen Maßnahmen zuzuwenden in diesem Heft wissenschaftliche Beachtung.