Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0042-100406
H. Dreßing, K. Foerster: Begutachtung bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Fortsch Neurol Psychiatr 2015; 83: 579–591
Publication History
Publication Date:
19 February 2016 (online)
Den Autoren Dreßing und Förster ist nicht hoch genug für ihr Bemühen zu danken, der Vielfalt gutachterlicher Beurteilungen bei posttraumatischen Belastungsstörungen entgegenzuwirken. Die korrekte Klassifikation von Traumafolgestörungen ist hierbei ein notwendiger qualitätsorientierter Zwischenschritt. Eine kriteriengerechte Klassifikation psychischer Störungen ist insbesondere für die Kausalitätsbeurteilung aber noch nicht hinreichend. So lässt sich einerseits auch eine subsyndromale PTBS ICD-10-kriteriengerecht als „sonstige Reaktionen auf schwere Belastung“ (F43.8) klassifizieren. Andererseits kann bei einer lang anhaltenden PTBS nach der Rechtslehre der wesentlichen Bedingung keineswegs allein aus einer kriteriengerechten Klassifikation auf den kausalen Zusammenhang geschlossen werden. Eine derartige Argumentation würde im ersten Prüfungsschritt der Kausalität, nämlich der Prüfung der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingung, verharren und den zweiten Schritt, nämlich eine Wertung der zusammenwirkenden Kausalfaktoren psychischer Gesundheitsstörungen, versäumen. Die Rechtsprechung des BSG fordert seit 1963 im weiteren Verlauf reaktiver psychischer Störungen die Prüfung, ob „aus der Psyche heraus wirkende Kräfte in den Vordergrund getreten sind“, als konkurrierende Ursache (BSG-Urteil vom 29.11.1963, 2 RU 46/58, SozEntsch. IV § 542 (b) RVO Nr. 16). Diese Forderung wird kaum beachtet. Mit Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung im Ersten Rentengutachten als Unfallfolge ist noch keine Beweisvermutung für die Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit gegeben. Das BSG sieht keine rechtliche Grundlage für eine derartige Beweislastumkehr (BSG-Urteil vom 09.05.2006 BSG 96, 196 ff.). Im Kern ist die Frage nach der Reichweite des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Vielfalt individueller psychischer Reaktions- und Verhaltensweisen in Abgrenzung zu Belastungen aufgeworfen, die dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet werden. Diese Frage der Verschiebung der Wesensgrundlage wurde, den Grenzen eines CME-Beitrags geschuldet, von den Autoren nicht angesprochen. Auf diese in der gutachterlichen und beratungsärztlichen Tätigkeit häufige, aber auch häufig übersehene Problematik soll an dieser Stelle doch hingewiesen werden.