Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2019; 47(04): 269-270
DOI: 10.1055/s-0039-1692759
Was kann moderne Tierzucht leisten?
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ernährung der Zukunft – Welche Rolle spielen Fleisch und Milchprodukte und was bedeutet dies für die Tierzucht?

A Spiller
1   Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Georg-August-Universität Göttingen
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Publication Date:
21 August 2019 (online)

 

Fleisch – ein superiores Gut?

Agrarökonomen betrachten Verbraucherpräferenzen typischerweise als stabil und heben auf die Wirkungen von veränderten Preisen und Einkommen sowie demographischen Entwicklungen ab. Für den Konsum tierischer Erzeugnisse traf dies auch lange Zeit zu. Heute noch ist ein starker Zusammenhang zwischen Einkommen und Konsum für viele Entwicklungsländer gegeben. Tierische Produkte waren über viele Jahrhunderte superiore Güter, deren Konsum mit steigendem Wohlstand anstieg. Für Deutschland trifft dies nicht mehr zu. In Nordwesteuropa ist der „Peak-Meat“ wohl erreicht. Der Fleischkonsum ist heute in sozial schwachen Haushalten häufig höher, Rindfleisch ausgenommen. Sozial demonstrativer Konsum erfolgt zunehmend über Besonderheiten. Statussymbole sind heute Koberind und Almkäse, nicht mehr das XXL-Schnitzel.

Heutige Treiber von Ernährungstrends

In entwickelten Volkswirtschaften verändern sich Ernährungstrends deutlich schneller und auf Basis anderer Treiber. Ernährung wird in einer individualisierten Gesellschaft zum lebensstilprägenden Element – mit großen Unterschieden zwischen verschiedenen sozialen Milieus. Innovative Technologien und globale Vernetzungen beeinflussen Esskultur und Ernährungsgewohnheiten. Es finden sich immer mehr kurzfristige Produktmoden, Ernährungstrends werden schwer prognostizierbar. Ist heute Skyr aus Island „in“, kann der Boom morgen vorbei sein. Light-Produkte sind nicht mehr angesagt, eher der fettreiche griechische Joghurt. Allerdings können neben solchen Trends 3 längerfristige Megatrends identifiziert werden.

Gesundheit als Megatrend

In einer alternden Gesellschaft gewinnt Gesundheit weiter an Bedeutung. Ein hoher Konsum von Rotfleisch und insbesondere von Wurst wird heute in der Ernährungsforschung als wenig gesundheitsförderlich bewertet. So empfiehlt die DGE schon seit längerem eine Halbierung des Konsums insbesondere von Wurst und Rotfleisch. Ältere Verbraucher konsumieren ohnehin weniger Fleisch. Bei Geflügel gibt es aber keine Evidenz für negative gesundheitliche Effekte. Hier wirkt sich stattdessen der aus dem Sport kommende Proteintrend positiv aus. Körperbild und Muskelaufbau werden mit einem hohen Proteinkonsum verbunden. Der Gesundheitswert von Milchprodukten wird global nicht mehr so uneingeschränkt positiv bewertet. Eine Ausnahme sind fermentierte Produkte/Sauermilcherzeugnisse, die im Zuge der Diskussion um die Bedeutung der Darmmikrobiota positiv hervorgehoben werden. Insgesamt wirkt sich der Gesundheits-Megatrend damit widersprüchlich bzw. differenziert auf den Konsum tierischer Erzeugnisse aus.

Nachhaltigkeit als gesellschaftlicher Druckfaktor

Die große Bedrohung für den Konsum tierischer Produkte ist die Klimaschutzdiskussion. Wiederkäuer sind bekanntlich durch den Methanausstoß überproportional an der Emission von Treibhausgasen beteiligt. Schweine- und Geflügelfleisch sind deutlich effizienter, aber Veredelungsverluste gibt es natürlich auch hier. Eine weitere Steigerung der Tierleistungen stößt an Tierschutzgrenzen. „Less but better“ ist daher die Zielrichtung der Klimaschutzdiskussion. Würde es tatsächlich dazu kommen, kämen erhebliche Transformationsherausforderungen auf die Tierhaltung in Deutschland zu. Zurzeit konzentriert sich die Diskussion erstaunlicherweise aufs Fleisch, nicht so sehr auf Milchprodukte, was wohl eher durch kulturelle Faktoren („Krieg ums Fleisch“) erklärt werden kann.

Landwirtschaftliche Prozesseigenschaften

Im Marketing gewinnt die Art der Tierhaltung überraschend stark an Bedeutung. Dies hat zum einen etwas zu tun mit der Suche der Menschen nach Heimat als Gegentrend zur Dynamik der Globalisierung. Zum anderen stehen bestimmte „naturnahe“ Formen der Landwirtschaft für Vertrauen und werden vom Handel als Wertschöpfungstreiber gepuscht. So wächst Bio relativ kontinuierlich. Während Weide- und Heumilch sich gerade am Markt etablieren, ist Weiderind immer noch ein Nischenprodukt – aber mit viel Potenzial. Im Zuge des sich grundsätzlich ändernden Mensch-Tier-Verhältnisses gewinnt der Tierschutz weiter an Bedeutung. Das Thema Züchtung wird bisher von Konsumenten auf Gentechnik in der Pflanzenproduktion und auf GVO-frei gefütterte tierische Erzeugnisse bezogen, es gibt aber auch Hinweise auf Skepsis gegenüber der modernen Tierzucht. Umgekehrt können traditionelle Tierrassen zunehmend als „Marken“ vermarktet werden, da sie Natürlichkeit und ursprünglichen Geschmack versprechen.

Herausforderungen für die Tierzucht

Die Tierzucht wird verstärkt mit erweiterten Zielen konfrontiert. Sie soll funktionale Merkmale wie Gesundheit und Robustheit fördern. Unter Marketinggesichtspunkten rücken weitere, insbesondere auch alte Rassen in den Vordergrund. Der Züchtungsfortschritt wird sich nicht mehr nur auf eine oder wenige Hochleistungsrassen konzentrieren. Inwieweit die Konsumenten Verfahren des Genome Editing in der Tierzucht akzeptieren werden, ist unklar.