Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2019; 47(04): 263-264
DOI: 10.1055/s-0039-1692750
Moderne klassische Tierzucht und Instrumente der molekularen Tierzucht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue Züchtungsmethoden: Stand und Perspektiven bei landwirtschaftlichen Nutztieren

H Niemannn
1   Medizinische Hochschule Hannover (MHH)/TwinCore, Hannover
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Publication Date:
21 August 2019 (online)

 

Die Tierzucht ist eng mit der Menschheitsgeschichte verbunden und hat mit ihren vielfältigen Produkten zur Versorgung der Menschen beigetragen. In den letzten 15–20 Jahren haben rasante Fortschritte in der Molekulargenetik, die Genomsequenzierung und -annotierung, die Geburt des Schafes „Dolly“, dem ersten geklonten Säugetier, sowie die Generierung pluripotenter Stammzellen aus somatischen Körperzellen (sog. induzierte pluripotente Stammzellen) die Naturwissenschaften auf eine neue Grundlage gestellt. Dies betrifft immer intensiver auch die Tierzucht. Inzwischen sind die Genome wichtiger landwirtschaftlicher Nutztiere sequenziert und annotiert worden, sodass informative und weitgehend vollständige Genkarten für Rind, Pferd, Schwein, Schaf, Ziege, Huhn, Hund und Biene vorliegen, die die Grundlage für die Entwicklung neuer Züchtungskonzepte und gezielte genetische Modifikationen über den Einsatz von sog. molekularen Scheren bilden, die in den letzten Jahren entwickelt wurden. Solche molekularen Scheren sind Zinkfinger-Nukleasen (ZFNs), TALEN (transcription activator-like effector nuclease) und CRISPR/Cas (clustered regularly interspaced short palindromic repeats), mit denen präzise genetische Veränderungen verlässlich induziert werden können. Dies geschieht im Wesentlichen durch Steigerung der DNA-Mutationsrate über Induktion von Doppelstrangbrüchen an vorbestimmten genomischen Stellen. Die Anwendung dieser molekularen Scheren wird auch Gene Editing genannt. Im Vergleich zu konventionellen homologen Rekombinationstechniken können molekulare Scheren die Targeting Rate um bis zu 10000-fach erhöhen und die Ausschaltung eines Gens über mutagene DNA-Reparaturmechanismen wird mit ähnlicher Frequenz stimuliert. Der erfolgreiche Einsatz der molekularen Scheren wurde in unterschiedlichen Organismen, wie Insekten, Amphibien, Pflanzen und Säugern, einschließlich Nutztieren und Mensch, gezeigt. Die Genscheren lassen sich entweder über Transfektion in somatische Zellen einbringen, die nachfolgend im somatischen Klonen eingesetzt werden, oder in frühe Embryonen injizieren. Es können neue Genvarianten erzeugt, neue Gene hinzugefügt oder Gene ausgeschaltet (sog. Knockout) werden.

Das CRISPR/Cas-System kann sogar multiple Sequenzen in einem Ansatz mutieren und scheint in dieser Hinsicht ZFNs oder TALEN überlegen zu sein. Die zurzeit vorliegenden Resultate zeigen, dass die molekularen Scheren für jedes Gen in jedem Organismus erfolgreich eingesetzt werden können und damit wertvolle Hilfsmittel für Studien zum Verständnis komplexer biologischer Systeme, zur Produktion genetisch modifizierter Tiere sowohl für landwirtschaftliche als auch für biomedizinische Zielsetzungen, zur Erstellung spezifischer Zelllinien, für die Züchtung genetisch modifizierter Pflanzen und sogar für die Behandlung humaner genetischer Erkrankungen sind.

Durch Einsatz von DNA-Nukleasen können Effizienz und Präzision des Gentransfers gegenüber dem bisher üblichen Verfahren erheblich gesteigert werden. Die Verwendung von DNA-Nukleasen hat auch die Erzeugung von Tieren mit selektiver Ausschaltung eines Gens (Knockout), das Einbringen neuer Polymorphismen (SNP) oder die Korrektur von bestimmten Erbfehlern beim Nutztier möglich gemacht. Für den erfolgreichen Einsatz von DNA-Nukleasen müssen jedoch einige wichtige Voraussetzungen eingehalten werden. Besonders bedeutsam ist ein höchstmöglicher Grad an Spezifität. Es muss sichergestellt sein, dass sog. Off-Target-DNA-Änderungen (d.h. Mutationen der DNA, die nicht die Ziel-DNA betreffen) ausgeschlossen sind. Diese lassen sich mithilfe von speziellen Algorithmen identifizieren und das Vorhandensein kann dann molekulargenetisch geprüft werden. Auch durch Whole Genome Sequencing (WGC) können Off-Target-Mutationen detektiert werden. Alle bisherigen Studien haben aber gezeigt, dass bei sachgerechter Anwendung das Risiko für ein Auftreten von Off-Target-Mutationen äußerst gering ist.

Die verschiedenen Nukleasesysteme haben bestimmte Vor- und Nachteile. Die Selektion einer DNA-Nuklease für einen spezifischen Zweck sollte deshalb in Abhängigkeit von der gewünschten Fragestellung erfolgen. Alle 3 Systeme können in somatischen Zellen eingesetzt werden, was dann das somatische Klonen für die Produktion von Tieren mit den gewünschten genetischen Veränderungen erforderlich macht. Die DNA-Nukleasen können aber auch durch Injektion in Oozyten oder frühe Embryonen (Zygoten) eingebracht werden, die dann nach Übertragung auf Empfängertiere zu Nachkommen mit den gewünschten genetischen Veränderungen führen können. Ein Vorteil des Klonansatzes ist, dass auf zellulärer Ebene vorab die gewünschte genetische Modifikation identifiziert und die Zellen entsprechend selektiert werden können, sodass die Wahrscheinlichkeit, relativ zeitnah ein Tier mit der gewünschten genetischen Modifikation zu erstellen, deutlich höher ist als mit der Injektionsmethode. Hervorzuheben ist die Möglichkeit, mit einem Ansatz Tiere mit einem biallelischen Knockout zu erstellen.

ZFNs, TALENs und CRISPR/Cas sind innerhalb von kurzer Zeit zu wertvollen Hilfsmitteln geworden, um genetische Modifikationen auch im komplexen Säugerorganismus zu induzieren und studieren zu können. Sie werden auch für die Nutztierzucht von großer Bedeutung sein, zum einen für die Produktion von Nutztieren mit neuen genetischen Eigenschaften für die Biomedizin, aber auch für die Induktion genetischer Polymorphismen (SNPs) mit züchterischer Bedeutung oder zur Korrektur bestimmter Gendefekte. Die Verwendung von DNA-Nukleasen erfordert die Integration in die vorhandenen Zuchtsysteme, die auf dem genomischen Zuchtwert basieren. Erste Berechnungen zur Integration in vorhandene Zuchtsysteme liegen bereits vor und zeigen ein großes Potenzial für genetische Fortschritte, insbesondere bei multipler Verwendung des Gene Editing. Die züchterischen Möglichkeiten können durch den Einsatz von Strategien, die auf dem Gene-Drive-Prinzip basieren, weiter gesteigert werden. Gene Drive (engl. für Genantrieb) bezeichnet Methoden zur beschleunigten Ausbreitung von Genen in Populationen. Während ein Gen, das nur einmal im Genom vorkommt, normalerweise an 50% der Nachkommen weitergegeben wird, sind es beim Gene Drive bis zu 100%. Gene Drive ist bereits ein wichtiges neues Hilfsmittel, um Insektenpopulationen, die bestimmte Krankheiten übertragen, zu minimieren oder sogar vollständig zu eliminieren. Kürzlich wurde der erste erfolgreiche Einsatz von Gene Drive im Mausmodell gezeigt.

In dem immer größer werdenden Kenntnisstand über das Nutztiergenom und der Verwendung des Gene Editing liegen große Chancen für die Entwicklung einer diversifizierten und zielgenauen Tierproduktion (sog. Precision Breeding). In der landwirtschaftlichen Tierzucht werden die Zucht von Rindern für eine spezifizierte Milchproduktion, entweder in Bezug auf die Menge und/oder für spezifische Inhaltsstoffe (Proteine, Milchzucker, Fett, Vitamine), und beim Schwein die Fleischproduktion mit einer diversifizierten Produktpalette möglich. Ferner werden die effektive Zucht hornloser Rinder, die Beeinflussung des Geschlechts (Sexing), die Zucht von Tieren, die spezifische, diätetisch wertvolle Produkte liefern können, oder die Produktion von Tieren für die Landschaftspflege mithilfe der neuen Züchtungsmethoden möglich. In der biomedizinischen Tierzucht können Tiere für die Produktion von Arzneimitteln (Pharming) erzeugt und transgene Schweine für die Organspende (Xenotransplantation) gezüchtet werden. Auch die Entwicklung von genetisch veränderten Tieren, insbesondere Schweinen, als Krankheitsmodell für den Menschen bietet vielversprechende Perspektiven für neue Erkenntnisse und Therapien humaner Krankheiten. Die neuen genomischen Kenntnisse und Gene-Editing-Verfahren können also wesentlich zur Entwicklung einer effizienten, diversifizierten, zielgenauen und damit nachhaltigen Tierproduktion beitragen.