Gesundheitswesen 2019; 81(03): 235-236
DOI: 10.1055/s-0039-1679279
Vorträge
Fachausschuss Infektionsschutz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Ausbruch oropharyngealer Tularämie durch frisch gepressten Most im Raum Mainz, Herbst 2016: epidemiologische und molekularbiologische Detektivarbeit

F Burckhardt
1   Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, Infektionsschutz, Landau
,
D Hoffmann
2   Gesundheitsamt Kreis Mainz-Bingen, Leitung, Mainz
,
K Jahn
3   Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, Mainz
,
K Heuner
4   Robert Koch-Institut, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Berlin
,
D Jacob
4   Robert Koch-Institut, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Berlin
,
M Vogt
5   Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, Humanmedizin, Koblenz, Germany
,
R Grunow
4   Robert Koch-Institut, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Berlin
,
P Zanger
1   Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, Infektionsschutz, Landau
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Publication History

Publication Date:
05 April 2019 (online)

 

Hintergrund:

Tularämie wird durch Francisella tularensis verurascht und ist eine in Deutschland sehr seltene Erkrankung im Zusammenhang mit Jagd oder Wildverzehr. Im Herbst 2016 erkrankten Teilnehmer an einer privaten Traubenlese eines Winzers im Kreis Mainz-Bingen, Rheinland-Pfalz an oropharyngealer Tularämie. Keiner der Betroffenen hatte vorher Wild gegessen oder an einer Jagd teilgenommen.

Methoden:

In einer retrospektiven Kohortenstudie befragten wir alle Teilnehmenden nach ihren Aktivitäten und Verzehr und führten eine Umgebungsuntersuchung durch. Ziel war, das Infektionsvehikel zu finden um weitere Fälle zu verhindern. Teilnehmer der Traubenlese wurden als Fälle klassifiziert, wenn sie bis zu 21 Tage nach der Lese oropharyngeale Tularämiesymptome hatten mit positiver Serologie. Lebensmittel und Umweltproben wurden mittels PCR und Kulturverfahren auf F. tularensis untersucht. In Risikolebensmittel wurde für eine taxonomische Analyse per PCR nach Säugetier cytB-Sequenzen gesucht.

Ergebnis:

Unter den 29 Teilnehmern identifizierten wir sechs Fälle mit oropharyngealer Tularämie und hohen IgG und IgM Titern. Das Trinken von frisch gepresstem Traubenmost am Tag der Lese war am stärksten mit dem Erkrankungsrisiko assoziiert (adjustiertes Inzidenzrisikoverhältnis 13,5; 95% Vertrauensinterall 1,8 bis unendlich) und konnte alle Erkrankungsfälle erklären. Die DNS von F. tularensis ssp. holarctica wurde in einer Konzentration von 17.000 Genomäquivalenten pro Milliliter im Sekundärprodukt (Süßreserve) aus dem gleichen Most gefunden. Die gefundene cytB Sequenz entsprach der einer Waldmaus (Apodemus). Die Trauben wurden von Hand und mechanisiert mit einem Vollernter gesammelt. Durch die Analyse der Einsatzprotokolle der verwendeten Erntemaschine konnten in einer weiteren Ladung von später gesammelten Trauben (bzw. deren Sekundärprodukte) eines zweiten Winzers ebenfalls geringe Spuren von F. tularensis festgestellt werden.

Diskussion:

Ursache des Ausbruchs waren höchstwahrscheinlich a) das unbeabsichtigte Aufsammeln einer an Tularämie erkrankten oder verendeten Waldmaus durch einen Vollernter während der Traubenlese in Kombination mit b) dem Verzehr von unbehandeltem, frisch gepresstem Most aus den mechanisiert gesammelten Trauben. Rohe Lebensmittel sollten vor dem Verzehr behandelt werden: „cook it, peel it or forget it“.

Literaturhinweis:

Oropharyngeal Tularemia from Freshly Pressed Grape Must, N Engl J Med 2018; 379:197 – 199; DOI: 10.1056/NEJMc1800353