Gesundheitswesen 2019; 81(03): 229-230
DOI: 10.1055/s-0039-1679263
Vorträge
Fachausschuss Kinder- und Jugendgesundheitsdienst
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ergebnisse der Adverse Childhood Experiences (ACE)-Studie zu Kindheitstrauma und Gewalt

B Joggerst
1   Gesundheitsamt Enzkreis, Pforzheim, Germany
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Publication History

Publication Date:
05 April 2019 (online)

 

Herr Dr. Felitti hatte als Internist in den 80er Jahren eine Vorsorgeklinik mit Programmen zur Reduktion von Übergewicht in den USA geleitet. Ihm fiel auf, dass Patienten – obwohl sie erfolgreich Gewicht abnahmen – vorzeitig aus dem Programm ausschieden. Er fand eher zufällig heraus, dass nicht wenige dieser Patienten in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden waren. Zusammen mit Dr. Anda von den Centers for Disease Control setzte er die Adverse Childhood Events (ACE)-Studie auf. Patienten wurden zu einer Anzahl von negativen Kindheitsereignissen befragt: Sexuellem Missbrauch, körperlicher und psychischer Misshandlung und dysfunktionaler Familie (Elternteil im Gefängnis, psychisch krank oder drogenabhängig, Scheidung, Tod). Die Anzahl der Kategorien der Kindheits-Belastungsfaktoren/Traumata wurden aufsummiert zum sog. ACE-Score. 17.400 Versicherte wurden zwischen 1995 und 1997 befragt und dann über 15 Jahre nachuntersucht. Sie stammen überwiegend aus der amerikanischen weißen Mittelklasse. Die Ergebnisse:

  1. sehr viele Menschen haben eine oder mehrere negative Kindheitsereignisse; einen ACE-Score ≥ 1 haben 2/3 aller untersuchten Personen, einen Score ≥ 4 jeder 8. Mensch

  2. negative Kindheitsereignisse clustern (87% von denjenigen, die mindestens einen Score von 1 hatten, hatten 2 oder mehr)

  3. je mehr dieser negativen Kindheitsereignisse ein Mensch erlebt hat, desto wahrscheinlicher entwickelt er bestimmte chronische körperliche (Diabetes, Krebs, Lungenemphysem) oder psychische (Depression, Sucht, Suizidalität) Erkrankungen oder hat soziale Schwierigkeiten (Teenageschwangerschaft, Gefängnisaufenthalt etc.).

Die Studie wurde weltweit wiederholt – immer mit den gleichen Ergebnissen. Die Zusammenhänge zwischen ACEs und Krankheiten sind sehr viel stärker als bei anderen Ursachen. So ist die Selbstmordrate bei einem ACE-Score von 4 oder höher um das 4-fache erhöht gegenüber ACE-Score von 0. Die Ergebnisse der ACE-Studie sind mehr als deutlich: Es besteht ein direkter Zusammenhang von Kindheitstraumata und der späteren Gesundheit im Erwachsenenalter – sowohl psychisch wie auch körperlich. Je mehr Traumatisierungen die Betroffenen in ihrer Kindheit erlebt haben, desto größer ist der negative Einfluss auf die Gesundheit. Die Prävention dieser Erkrankungen muss vor diesem Hintergrund neu gedacht werden. Die Aktualität dieser Ergebnisse (nicht nur) für den KJGD wird durch eine Veröffentlichung im Lancet Public Health 2017 und in der Monatsschrift Kinderheilkunde im Oktober 2018 belegt.