Gesundheitswesen 2018; 80(04): 403-404
DOI: 10.1055/s-0038-1639259
POSTERPRÄSENTATION
Infektionsschutz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mortalitätssurveillance – Ein wertvolles Instrument zur zeitnahen Bewertung von Gesundheitsrisiken in Deutschland

A Mazick
1   Gesundheitsamt Cuxhaven, Infektionsschutz, Cuxhaven, Germany
,
M an der Heiden
2   Robert Koch-Institut, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Berlin, Germany
,
U Buchholz
2   Robert Koch-Institut, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Berlin, Germany
,
H Uphoff
3   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen, Gesundheitsschutz, Dillenburg, Germany
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Publication Date:
11 April 2018 (online)

 

Surveillance von Sterbefällen in der Bevölkerung ist ein Instrument zur schnellen Aufdeckung von abrupten Veränderungen der Mortalität. Die „Exzessmortalität“ ist ein wertvoller Parameter für das Entdecken und Einschätzen von Epidemien, Pandemien oder extremen Umweltereignissen. Seit 2009 koordiniert EuroMOMO, ein ECDC- und WHO-finanziertes Netzwerk, eine solche Surveillance der Gesamtmortalität in z.Zt. 19 europäischen Ländern. Die Teilnahme Deutschlands ist zwar vom RKI gewünscht, scheiterte bisher aber an der Verfügbarkeit zeitnaher Sterbedaten bzw. an fehlenden gesetzlichen Vorgaben zur Nutzung solcher Daten für Surveillance. Dass eine Teilnahme jedoch auch unter bestehenden Gegebenheiten möglich ist, beweisen Hessen und Berlin, die an der europäischen Mortalitätssurveillance teilnehmen konnten/können. Wir stellen die Mortalitätssurveillance und ihren Nutzen vor und diskutieren Möglichkeiten der Teilnahme für die Bundesländer.

Exzessmortalität ist die Mortalität, welche die erwartete Mortalität (Basislinie) überschreitet. Kernstück EuroMOMOs ist ein gemeinsamer Algorithmus zur Berechung der Basislinie; die Eingabedaten sind im Idealfall individuelle Sterbedaten. Länder analysieren eigene Daten mithilfe des Algorithmus und senden die Ergebnisse wöchentlich an die EuroMOMO-Zentrale in Dänemark, die Länderdaten in einer gesamteuropäischen Sterbekurve sammelt, bewertet und publiziert.

EuroMOMO generiert wöchentliche Exzessmortalität, Graphen und Tabellen zur direkten Verwendung in Surveillance-Bulletins. Diese fließen auch in das wöchentlich vom ECDC erstellte europäische Influenzabulletin ein. EuroMOMO zeigte frühzeitig in der Influenzasaison 2009/2010 die Verschiebung der Sterblichkeit von älteren Menschen in jüngere Altersgruppen. Diese Verschiebung wurde später durch etliche pandemiespezifische Mortalitätsstudien weltweit bestätigt. In den Influenzasaisons 2014/2015 und 2016/2017 stellte EuroMOMO einen starken Anstieg der Sterblichkeit bei älteren Menschen fest, der mit einer weit verbreiteten Zirkulation von Influenza-A-Virus (H3N2) in vielen Ländern zusammenfiel.

Mortalitätssurveillance zusammen mit Daten relevanter Einflussgrößen, wie Influenzaaktivität und Hitzewellen, hat das Potenzial, als wirksames Instrument zur schnellen Einschätzung der Schwere von gesundheitsgefährdenden Ereignissen auch bioterroristischer Art zu dienen. Die Überwachung der Sterblichkeit ist jedoch komplex, insbesondere bei der Bewertung von Daten mehrerer Länder. Standardisierte Methoden sind hilfreich um Vergleiche vorzunehmen und zu kommunizieren. EuroMOMOs Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit der Mortalitätssurveillance und die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel in Deutschland hin zum proaktiven Gebrauch demographischer Daten für die zeitnahe Risikobewertung von gesundheitlichen Notlagen. Wir empfehlen Landesgesundheitsbehörden den Zugang zu Sterbedaten in Absprache mit den Statistikbehörden zu prüfen.