Kinder- und Jugendmedizin 2016; 16(03): 167-172
DOI: 10.1055/s-0037-1616316
Sozialpädiatrische Versorgung
Schattauer GmbH

Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf Gesundheitschancen im Kindes- und Jugendalter und die Herausforderungen für die Präventions- und Versorgungsforschung

Social inequality and its impact on health-related opportunities in children and adolescents — challenges for prevention and health services research
B. Babitsch
1   Universität Osnabrück, FB 8 | Humanwissenschaften, Fachgebiet New Public Health
,
N.-A. Götz
1   Universität Osnabrück, FB 8 | Humanwissenschaften, Fachgebiet New Public Health
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Publikationsverlauf

Eingereicht am: 27. November 2015

angenommen am: 04. Dezember 2015

Publikationsdatum:
11. Januar 2018 (online)

Zusammenfassung

Bereits im Kindes- und Jugendalter lassen sich Unterschiede in der Gesundheit in Abhängigkeit vom sozialen Status der Familie erkennen. Neben höheren Prävalenzen bei einer Vielzahl von Erkrankungen, drückt sich dies auch in einer höheren Belastung im Lebensalltag und geringeren, den Kindern/Jugendlichen zur Verfügung stehenden Ressourcen aus. Besonders stark sind diese sozial bedingten Unterschiede für die unter den Begriff der „neuen Morbidität“ gefassten Gesundheitsproblematiken ausgeprägt. So sind dreimal so viele Kinder/Jugendliche mit einem niedrigen Sozialstatus verglichen mit einem hohen Sozialstatus adipös. Kinder/Jugendliche erleben die sozial bedingten Unterschiede in ihrem Schul- und Familienalltag. Dies geht über eine materielle Deprivation hinaus und wird ggf. Teil der Wahrnehmung von realisierbaren Chancen sowie den Vorstellungen zur Lebensgestaltung und -führung. Der ‚Verwirklichungschancenansatz‘ setzt hier an und gibt wichtige Impulse, sogenannte Befähigungschancen als Basis für den Abbau von sozialer Ungleichheit anzusetzen. In Forschung und Praxis setzt dies voraus, den Fokus stärker auf die Ressourcen für Gesundheit und eine gesunde Entwicklung zu legen.

Summary

Social differences in health can already be observed in children and adolescents. Children/adolescents with low social status show not only in many diseases higher prevalences but they are also more frequently confronted with a higher strain in their daily lives accompanied by lower available resources for compensation. Most pronounced are social induced differences in health problems specified as “new morbidity” among children and adolescents. For instance, children/adolescents with a low social status compared to children/adolescents with a high social status are threefold as likely to be obese. Children/adolescents make experiences of social differences in their school and family environment. This means much more than only material deprivation. It can be assimilated as a part of the perception of one’s one feasible opportunities as well as one’s one life plans and lifestyle. The ‘Capability Approach’ takes this into account and provides useful insights to reduce social inequality by enhancing capabilities. Consequently, the focus in research and practice has to be shifted towards resources for health and a healthy development.

 
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