Z Geburtshilfe Neonatol 2017; 221(S 01): E1-E113
DOI: 10.1055/s-0037-1607679
Vorträge
Pränatale Diagnostik (Beratung, Screening, Ultraschall) II/und Psychosomatik und soziale Themenschwerpunkte
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schwangerschaftsabbruch im zeitlichen Bereich der extrauterinen Lebensfähigkeit – Entscheidungsfindung im Rahmen ethischer Fallkonferenzen

A von der Wense
1   Altonaer Kinderkrankenhaus, Neonatologie und päd. Intensivmedizin, Hamburg, Germany
,
WH Becker
2   Pränatalmedizin im Perinatalzentrum Altona, Hamburg, Germany
,
U Peters
3   Humangenetik im Pränatalzentrum Altona, Hamburg, Germany
,
A Dorn
4   Gynäkologische Psychosomatik, Hamburg, Germany
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
27 October 2017 (online)

 

Einleitung:

Der Schwangerschaftsabbruch nach §218 StGb – medizinisch soziale Indikation – stellt für die durchführenden Institutionen aufgrund der juristischen und ethischen Fragestellungen eine Herausforderung dar, die neben Beachtung der Rechtsvorschriften ein strukturiertes Procedere erfordert. Dies gilt insbesondere für Schwangerschaften, bei denen der Fetus bereits ein Gestationsalter im Bereich der fetalen Lebensfähigkeit erreicht hat. Wir stellen einen interdisziplinären und interprofessionellen Ansatz im Rahmen einer ethischen Fallkonferenz vor und dazu die Zahlen über einen mehr als 7-jährigen Zeitraum.

Methodik:

Im Jahr 2009 wurde im Perinatalzentrum Altona eine Struktur für ethische Fallkonferenzen etabliert, um sich mit den Fragestellungen rund um den Schwangerschaftsabbruch durch Fetozid bei Feten > 22+0 SSW zu befassen. Der Ethikkommission (EK) gehören obligat ein Pränatalmediziner, Neonatologe, Humangenetiker, eine Hebamme, Seelsorger sowie ein Psychiater/Psychologe an. Fakultativ kommen weitere Spezialdisziplinen hinzu, die in die Fallberatung involviert sind.

Alle Mitglieder der EK führen ein Gespräch mit der betroffenen Schwangeren, anschließend wird in der Fallkonferenz beraten und eine Entscheidung im Konsens angestrebt. Das „Veto“ eines Mitglieds der EK führt zu einem ablehnenden Votum bezüglich der Durchführung des Fetozids.

Ergebnisse:

Von Januar 2009 bis Februar 2017 wurden 56 ethische Fallkonferenzen zu Schwangerschaftsabbruch durch Fetozid durchgeführt.

1. Die Ergebnisse der Beratungen stellen sich wie folgt dar:

  • 45 Schwangerschaftsabbrüche durch Fetozid

  • 7 Ablehnungen eines Fetozids durch die EK

  • 2 Fortsetzungen der Schwangerschaft trotz zustimmenden Votums der EK

  • 1 Frühgeburt vor dem geplanten Fetozid bei zustimmendem Votum der EK

  • 1 IUFT vor dem geplanten Fetozid bei zustimmendem Votum der EK

2. Die Diagnosen, die zur Beratung führten, zeigen folgende Verteilung:

  • 24 Anomalien des ZNS, teils kombiniert mit spinalen Anomalien

  • 15 chromosomale oder molekulargenetisch nachgewiesene Anomalien

  • 6 Skelettdysplasien

  • 5 komplexe Herzfehler

  • 5 renale Anomalien

  • 1 Vergewaltigung mit gesundem Fetus jenseits der Frist für kriminologische Indikation

Das mittlere fetale Gestationsalter bei Durchführung des Fetozids betrug 27,6 SSW, das maximale Gestationsalter lag bei 35,0 SSW.

Schlussfolgerung:

Das Vorgehen im Rahmen einer ethischen Fallkonferenz nach dem Prinzip einer geteilten Verantwortung im Sinne einer „integrativen Verantwortungsethik“ nach Beauchamp und Childess hat sich nach unseren Erfahrungen bewährt. Es führt zu einer breit getragenen Unterstützung bei zustimmendem Votum, die sowohl für die durchführenden Ärzte als auch für die betroffenen Schwangeren von Bedeutung ist. Die ablehnenden Voten führen zu ausgesprochen schwierigen Fragestellungen des weiteren Vorgehens, die nur individuell gelöst werden können.