Z Geburtshilfe Neonatol 2017; 221(S 01): E1-E113
DOI: 10.1055/s-0037-1607645
Vorträge
Pränatale Diagnostik (Beratung, Screening, Ultraschall) I
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Inwiefern werden Negativ-Kriterien (Choosing Wisely) bereits in der geburtshilflichen Praxis berücksichtigt?

L Schradin
1   Philipps-Universität Marburg, Marburg, Germany
,
N Timmesfeld
2   Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Marburg, Germany
,
B Misselwitz
3   Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen, Eschborn, Germany
,
B Arabin
4   Philipps-Universität Marburg, Pränataldiagnostik/geburtshilflicher Ultraschall, Marburg, Germany
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
27 October 2017 (online)

 

Fragestellung:

Die „Choosing Wisely“-Initiative der ABIM Foundation ist bereits weltweit bekannt und für viele Fachrichtungen anerkannt. Die Society of Maternal Fetal Medicine (SMFM) hat evidenzbasierte „Choosing Wisely“ Empfehlungen definiert, deren Einführung auch für Deutschland im Ärzteblatt diskutiert wurde. Sie ist ein noch nicht verwirklichtes Anliegen der AWMF. Mit unserer Untersuchung möchten wir ermitteln, inwieweit in Deutschland Negativkriterien bekannt sind.

Methodik:

Die Hessische Perinatalerhebung wurde nach sorgfältiger Plausibilitätskontrolle von 2000 bis 2015 auf wesentliche Verstöße gegen Negativempfehlungen untersucht, darunter Sektioraten, Oxytocinbelastungstest, iv-Tokolyse > 48 Stunden oder bei Blasensprung, orale Tokolyse, (wiederholte) Gaben von Medikamenten zur Lungenreifeinduktion und Cerclagen (bei Mehrlinsgravidität).

Ergebnis:

Von 2000 bis 2015 wurden 752419 Schwangerschaften und Geburten, davon 234634 (31,2%) Kaiserschnitte erfasst; der Anteil stieg von 18,5% (2000) auf 34,5% (2015) (p < 0,001). Raten von Oxytocinbelastungstesten sanken von 11,3% auf 2,0% (p < 0,001). Raten aller Patienten mit iv-Tokolyse sanken von 4,5% auf 2,5% (p < 0,001). Allerdings war kein Rückgang von i.v.-Tokolysen > 48 Stunden erkennbar: Die Raten betrugen 68,7% (2000) und 69,1% (2015) (NS). Kontrovers zu internationalen Richtlinien wurden bei vorzeitigem Blasensprung < 34 SSW iv-Tokolysen in 49,4% (2000) und 57,4% (2015) ausgeführt, der Anteil oraler Tokolysen sank von 5,5% auf 0,7% (p < 0,001). Corticosteroide wurden in 4,5% (2000) und 4,9% (2015) appliziert, allerdings noch in 3,5% und 3,0% bei > 34 SSW. Cerclagen wurden in 1,1% (2000) und 0,6% (2015 appliziert, davon kontrovers zu inter-nationalen Richtlinien bei Mehrlingsschwangerschaft noch in 8,6% (2000) und 5% (2015).

Schlussfolgerung:

Unsere Ergebnisse zeigen, dass evidenzbasierte Negativkriterien (bedingt) Eingang in die Praxis gefunden haben. Erste Auswertungen unserer Online Befragung von jungen Assistenzärzten, unterstützen die Hypothese, dass ein positiver zeitlicher Trend in Bezug auf die Umsetzung einiger Inhalte der „Choosing Wisely Kriterien“ in der Pränataldiagnostik erkennbar ist.