Gesundheitswesen 2017; 79(04): 299-374
DOI: 10.1055/s-0037-1602012
4. Mai 2017
Postersession „Infektionsschutz“
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Analyse der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden im Landkreis Reutlingen

M Notheisen
1   Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
,
S Brockmann
2   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
B Littmann
2   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
G Roller
2   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
M Eichner
1   Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
02 May 2017 (online)

 

Zielsetzung::

Diese Arbeit untersucht, ob Asylsuchende in der vorläufigen Unterbringung durch die ambulante Regelversorgung eine adäquate medizinische Versorgung erhalten. Außerdem werden die im Landkreis Reutlingen initiierten Pilotprojekte „Arzt vor Ort“ und „Krankenschwester vor Ort“ evaluiert. Dabei wird untersucht, ob die Häufigkeit von Arztbesuchen bei Asylsuchenden von der deutschen Bevölkerung abweicht, ob es Gruppen gibt, die unterversorgt sind, und wie die Pilotprojekte die Inanspruchnahme verändern.

Methoden::

Aus KV-Quartalsabrechnungen des Landratsamtes Reutlingen für 2015 wurden Arztbesuche bei niedergelassenen Ärzten aller Fachrichtungen für alle Asylsuchenden in der vorläufigen Unterbringung ermittelt. Vergleichsdaten für die deutsche Bevölkerung wurden aus dem Barmer-GEK-Arztreport 2016 bezogen.

Ergebnisse::

Im Jahr 2015 wurden 8.706 Arztbesuche abgerechnet. Von 3.322 Asylsuchenden besuchten 55% mindestens einmal einen Arzt. Auf ein Jahr hochgerechnet gingen Asylsuchende (unabhängig von Alter und Geschlecht) seltener zum Arzt als Barmer-GEK-Versicherte (6,5 vs. 8,7 Arztbesuche/Jahr). Auch wenn viele Arztbesuche auf Frauenärzte (6,9%) und Kinderärzte (8,8%) fielen, wurde ein Großteil der Kinder von Allgemeinmedizinern betreut und Schwangere und Kinder nahmen weit seltener Arztbesuche in Anspruch als die Vergleichsbevölkerung. In der von einer Ärztin versorgten Einrichtung kam es zu mehr Arztbesuchen als in den Unterkünften, die weder von Ärzten noch von Krankenschwestern betreut wurden (z.B. 7,5 vs. 5,1 Arztbesuche/Jahr bei 19 – 29-Jährigen); in von Krankenschwestern betreuten Unterkünften kam es zu weniger Arztbesuchen (4,2). Die Anfahrtswege für Arztbesuche waren bei Asylsuchenden oft viel größer als für die Vergleichsbevölkerung.

Schlussfolgerung::

Die geringere Anzahl von Arztbesuchen bei Asylsuchenden deutet einerseits möglicherweise auf eine medizinische Unterversorgung – insbesondere von Kindern und Frauen – hin, andererseits könnten vielleicht einige der Arztbesuche vermieden werden, wie die Ergebnisse des Pilotprojekts „Krankenschwester vor Ort“ nahelegen.