Gesundheitswesen 2016; 78 - A152
DOI: 10.1055/s-0036-1586662

Die Ärzteschaft türkischer Herkunft als Mittler zwischen ‚ausländischer‘ Klientel und ‚deutscher‘ Medizinerschaft

L Peppler 1
  • 1Universität Göttingen, Göttingen

Die gesundheitliche Versorgung ausländischer Patient/innen stellt ein viel diskutiertes Thema dar. Dass die Ärzteschaft ausländischer Herkunft hierbei eine zentrale Rolle einnimmt, ist allerdings weniger bekannt. Dabei stellt sich die Frage, wie die Ärzt/innen sich im deutschen Gesundheitssystem positionieren und welche Chancen und Herausforderungen sich daraus zukünftig ergeben. Für meine Dissertation führte ich qualitative Leitfaden- und Experteninterviews mit 32 Ärzt/innen in Deutschland und der Türkei.

Die Ärzt/innen werden in ihrem Praxisalltag überaus häufig von türkischen Patient/innen aufgesucht; auch, weil sie ihnen den Zugang zu Gesundheitsleistungen erleichtern. Dabei geht es um ein kulturspezifisches Verständnis von Krankheit, Gesundheit und Körperlichkeit, um Religion und Sprachkenntnisse. Die Ärzt/innen nehmen eine Mittlerrolle zwischen ihrer Klientel und dem deutschen Gesundheitssystem ein. Die spezifischen Bedarfe der Patientenschaft artikulieren sie auch gegenüber gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern. Türkisch-deutsche Ärzteverbände organisieren außerdem kultursensible Gesundheitsprojekte in Kooperation mit Patienteninitiativen.

Darüber hinaus gewinnt die interkulturelle Beratung der deutschen Ärzteschaft an Relevanz. Dies beruht zum einen auf der Zunahme der Bevölkerung türkischer Herkunft bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung hinsichtlich Geschlecht, Alter und Herkunftsmilieu seit den 1970er Jahren. Zum anderen führt die Stärkung der Patientenrechte zu Herausforderungen in der interkulturellen Arzt-Patienten-Beziehung. Aufgrund der ärztlichen Aufklärungspflicht können sich etwa juristische Konsequenzen für die behandelnden Ärzt/innen ergeben, wenn die Sprachbarrieren zu groß sind.

Die Ärzteschaft türkischer Herkunft sieht sich hier in einer besonderen Verantwortung und verfasst beispielsweise Ratgeber zum Umgang mit türkischen bzw. muslimischen Patient/innen sowie deutsch-türkische Wörterbücher für medizinisches Personal. Außerdem gründete die Deutsch-Türkische Medizinergesellschaft e.V. ein Allgemeinärzteforum, in dem sich türkische und deutsche Ärzt/innen über die Behandlung von Migrant/innen austauschen. Indem sie ihre Kolleg/innen über kulturspezifische Bedürfnisse aufklären, fungieren die Ärzt/innen als Mittler zwischen Patient/innen türkischer und Mediziner/innen deutscher Herkunft.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die interkulturelle Mittlerrolle der Ärzteschaft türkischer Herkunft maßgeblich durch das Spannungsverhältnis von Ethnizität und Profession charakterisiert ist. Die Chance einer verbesserten migrantischen Gesundheitsversorgung steht hierbei den Fragen der praktischen Umsetzung unter den gegebenen Rahmenbedingungen gegenüber. Zu diskutieren bleibt also, wie sich diese Erkenntnisse zukünftig anwenden lassen – beispielsweise beginnend mit einer systematischen Evaluation der bestehenden Initiativen und Projekte. Referenzen beim Verfasser.