Gesundheitswesen 2016; 78 - A59
DOI: 10.1055/s-0036-1586569

Assoziationen zwischen räumlicher Entfernung zum Hausarzt und individuellen gesundheitlichen und sozialen Faktoren in der älteren Bevölkerung im Ruhrgebiet – Ergebnisse der Heinz Nixdorf Recall Studie

JR Knittel 1, R Sutcliffe 2, DA Djeudeu Deudjui 3, R Erbel 4, KH Jöckel 5, N Dragano 6, S Moebus 2
  • 1Universität Duisburg-Essen, Essen
  • 2Zentrum für Urbane Epidemiologie, Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen, Essen
  • 3Universitätsklinikum Essen, Zentrum für Urbane Epidemiologie (CUE), Essen
  • 4Westdeutsches Herzzentrum Essen, Klinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
  • 5Institut für Medizinische Informatik, Biometrie & Epidemiologie Universitätsklinikum Essen, Essen
  • 6Institut für Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich Heine Universität Düsseldorf, Düsseldorf

Hintergrund: Eine wohnortnahe medizinische Versorgung der Bevölkerung ist das erklärte Ziel des Gesetzgebers (§72 SGBV). Im Gegensatz zur hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum, ist die Versorgungssituation in Städten seltener explizit Forschungsgegenstand. Hierbei fokussieren die Analysen auf die Ärztedichte und deren Einflussfaktoren. Die Perspektive der Einwohner/innen wird bislang kaum untersucht. Ziel ist, die räumlichen Entfernungen zwischen Studienteilnehmer/innen einer Kohortenstudie und ihren Hausärzten unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, individuellem und stadtteilbezogenem sozioökonomischen Status (SES) und Multimorbidität zu beschreiben.

Methoden: Daten von n = 1.959 Probanden (55 – 85 Jahre, Männer 48%) aus der Dritterhebung der populationsbezogenen Heinz Nixdorf Recall Studie (Ruhrgebiet, 2010 – 2013) wurden eingeschlossen. Neben gesundheitsbezogenen (subjektiver Gesundheitszustand, Multimorbidität) und sozioökonomischen Faktoren (Probanden: Ausbildungsjahre, Stadtteil: Einwohnerdichte, Ausländeranteil), wurden die Hausarztadressen ermittelt. Die Entfernung zwischen den geocodierten Wohnorten der anonymisierten Probanden und der Hausärzte wurden mittels euklidischer Distanzen unter Verwendung eines Geoinformationssystem (ArcGIS) berechnet. Deskriptive Statistiken (Median, Q1, Q3) werden berichtet.

Ergebnisse: Im Median beträgt die Entfernung zum Hausarzt bei Männern 1,37 km (Q1: 0,62 km/Q3: 3,10 km), bei Frauen 1,15 km (0,59 km/2,64 km). Ein deutlicher Alterseffekt mit steigender Entfernung bei sinkendem Alter ist ebenso erkennbar, wie ein Zusammenhang des individuellen SES und der Hausarztentfernung, mit größten Entfernungen von 1,58 km (0,71 km/3,90 km) in der Gruppe mit dem höchsten Ausbildungsstatus (≥18 Ausbildungsjahre) und geringsten Entfernungen von 0,98 km (0,44 km/2,25 km) in der Gruppe mit niedrigstem Ausbildungsstatus (≤10 Jahre). Die Einwohnerdichte, Arbeitslosen- oder Migrantenanteil in einem Stadtviertel spiegeln diese Ergebnisse wider. So sind die Entfernungen etwas größer in der Probandengruppe, die im Stadtviertel mit einer Arbeitslosenquote unter 10% wohnen, als bei der Probandengruppe, in Stadtvierteln mit Arbeitslosenquoten zwischen 15% und 29% (1,40 km resp. 1,00 km). Dagegen sind keine Unterschiede erkennbar hinsichtlich selbst eingeschätztem Gesundheitszustand oder der Anzahl von chronischen Erkrankungen (Diabetes, KHK, Multimorbidität).

Fazit: Die vom Gesetzgeber angestrebte wohnortnahe medizinische Versorgung wird überwiegend von Älteren in Anspruch genommen. Ein höherer sozialer Status ist dagegen mit einer größeren Entfernung zum Hausarzt verbunden. Dies könnte bedeuten, dass diese Gruppe bei der Arztwahl flexibler agiert und Entfernung kein wesentlicher Entscheidungsfaktor ist. Ein Zusammenhang zwischen Entfernung und Gesundheitszustand ist in dieser älteren Studienpopulation nicht erkennbar. Weitere Analysen sollen die Arztdichte in den Stadtteilen schätzen und diese mit der Hausarztwahl der Probanden verknüpfen.