Gesundheitswesen 2016; 78 - A38
DOI: 10.1055/s-0036-1586548

Gesundheit in der Arbeitswelt der Zukunft – Welche Potenziale bietet die Industrie 4.0?

K Guhlemann 1, A Georg 1
  • 1Sozialforschungsstelle Dortmund/TU Dortmund, Dortmund

Hintergrund und Fragestellung: Über die Digitalisierung von Arbeit und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten liegen derzeit unterschiedliche Kenntnisse vor: Generell ist zu vermuten, dass der allgemeine Trend zur Verstärkung der psychosozialen Belastungen (Georg u.a. 2015) zunehmen wird. Inwiefern die Zukunftsvision Industrie 4.0 eine Veränderung in den Belastungskonstellationen hervorbringt, aber auch neue Gestaltungspotenziale für gesundheitsförderliche Arbeit birgt, wird in dem BMBF-Verbundprojekt „Prävention 4.0“ untersucht.

Studiendesign: Es wird untersucht, wie sich Betriebe hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsorganisation, der Beteiligung oder des Gesundheitsschutzes unterscheiden, welche Arbeitsbedingungen bei Werkern verschiedener Fachebenen und Management zu beobachten sind und welche arbeits- und gesundheitspolitischen Flankierungen erforderlich werden können. Auch gilt es, Arbeitsschutz, Prävention und Betriebliche Gesundheitsförderung in Konzepte permanenten Organisationswandels zu integrieren. Da die Digitalisierungsprozesse in den Unternehmen noch in den Anfängen stehen, erfolgt der Zugang über 20 qualitative Experteninterviews mit betrieblichen und wissenschaftlichen Akteuren.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen sowohl Potenziale als auch Risiken der neuen Arbeitsformen und verdeutlichen die Relevanz gestalterischer Maßnahmen von Beginn an. Dem Gewinn, negative einseitige Körperhaltungen o.ä. zu vermeiden, steht die Entgrenzung der Arbeit gegenüber. Im Umgang mit zunehmender Flexibilität, Beschleunigung, Komplexität und im Ineinanderfließen von Virtualität und Realität sind partizipative Ansätze gefragt, die die Erfahrungen der Beschäftigten mit digitalisierten Arbeitsprozessen strukturell erschließen und für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung nutzen. Kompetenzentwicklung im Arbeitsprozess in lernförderlichen Arbeitsumgebungen erfährt eine wachsende Bedeutung und erfordert neue Ansätze, um Erfahrungswissen sichtbar, nutzbar und übertragbar zu machen.

Fazit: Multitasking, hohe Beanspruchungen infolge komplexer Arbeiten bis hin zum Burn-out oder depressiven Erkrankung sind mögliche negative Folgen vernachlässigter Gestaltung der Arbeit 4.0. Die „multiple Überlastung“, die permanente Verfügbarkeit, versteckte Leistungsverdichtung und starker Termin- und Leistungsdruck (Hammermann/Stettes 2015) erfordern ein Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagement, das kontinuierliche Strukturen aufbaut, regelmäßige Risikoermittlung psychosozialer Belastungen vornimmt und Beschäftigte als Experten ihrer eigenen Gesundheit respektiert. Durch die systematische Verknüpfung von Personal-, Organisations- und Kompetenzentwicklung werden Unternehmen und Beschäftigte dazu befähigt, Innovationsprozesse in der Arbeitswelt 4.0 als „Ensembleleistung“ dauerhaft erfolgreich zu gestalten. Referenzen beim Verfasser.