Gesundheitswesen 2016; 78 - V40
DOI: 10.1055/s-0036-1578855

Der öffentliche Gesundheitsdienst und die staatliche Gesundheitspolitik im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit

S Schleiermacher 1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Geschichte der Medizin, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte, Berlin

Durch die seit der Weimarer Republik angestrebten Reformen wurde das kommunal strukturierte und von verschiedensten Einrichtungen getragene öffentliche Gesundheitswesen im Sinne des nationalsozialistischen Staates neustrukturiert und mit der Schaffung von Gesundheitsämtern und der Funktion des Amtsarztes aus der Perspektive des neuen Staates zentralistisch organisiert. Dem öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) kam spätestens mit dem Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (GVG) vom 3. Juli 1934 die zentrale Rolle bei der Umsetzung der biologistischen bevölkerungspolitischen Vorstellungen und Zielsetzungen des nationalsozialistischen Staates in Form der „Erb- und Rassenhygiene“ zu, wobei vorhandene Arbeitsbereiche weitgehend unangetastet blieben. Mit fortschreitender Entwicklung des nationalsozialistischen Staates und sich ändernden Rahmenbedingungen veränderten sich die Schwerpunkte der Tätigkeitsbereiche der Gesundheitsämter und Amtsärzte bei gleichzeitigem Festhalten an Zielsetzung und Programmatik.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in den verschiedenen Besatzungszonen unter Bezug auf gemeinsame Kontrollratsbeschlüsse unterschiedlich mit der nationalsozialistischen und damit auch der gesundheitspolitischen Gesetzgebung umgegangen. Ebenso unterschiedlich wurde mit dem Personal bei der sogenannten Entnazifizierung verfahren. In dem Vortrag soll den Fragen nach Tätigkeits- und Kompetenzbereichen von Gesundheitsamt und Amtsarzt im Nationalsozialismus, nach deren Beitrag bei der Umsetzung der Gesundheits- und Bevölkerungspolitik, nach Einfluss, Handlungsspielräumen, Selbstdefinition und Kooperationen von Amtsärzten sowie nach inhaltlicher sowie nach personeller Kontinuität bzw. Diskontinuität im ÖGD nach 1945 nachgegangen werden.