Gesundheitswesen 2016; 78 - V9
DOI: 10.1055/s-0036-1578824

Immunität gegen Masern, Röteln und Windpocken bei neu eintreffenden Asylsuchenden in Niedersachsen, Oktober 2014 bis August 2015

S Toikkanen 1, A Baillot 2, J Dreesman 2, E Mertens 2
  • 1European Programme for Intervention Epidemiology Training (EPIET), European Centre for Disease Prevention and Control, (ECDC), Stockholm, Schweden, Niedersächsisches Landesgesundheitsamt, Hannover
  • 2Niedersächsisches Landesgesundheitsamt, Hannover

Hintergrund: Die steigende Anzahl von Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, ist auch hinsichtlich des Infektionsschutzes eine Herausforderung für den ÖGD. In den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) in Deutschland treten Fälle und Ausbrüche impfpräventabler Erkrankungen auf, eine zuverlässig umgesetzte Impfstrategie bestand bis November 2015 nicht. Niedersachsen (NI) führte von Okt. 2014 bis Okt. 2015 ein generelles Antikörper-Screening auf Masern, Röteln und Windpocken (MRW) bei neu eintreffenden Asylsuchenden (AS) ein, um im Ausbruchsfall Individuen gezielt schützen zu können. Um besonders vulnerable Populationen zu erkennen, wurde die Immunität nach Herkunftsland berechnet. Methoden: Die Studienpopulation besteht aus AS ab dem zwölften Lebensjahr, die zwischen 01.10.2014 – 27.08.2015 in NI aufgenommen wurden. Seropositivität (SP) wurde definiert als Antikörpernachweis (IgG) gegen Masern- oder Windpockenvirus mittels qualitativem Test bzw. IgG-Antikörperkonzentrationen über 20 IU/ml gegen Rötelnvirus. Wir kalkulierten den Anteil von SP nach Herkunftsland mit 95%-Konfidenzintervallen (KI). Eine Population wurde als ausreichend geschützt definiert, wenn der Anteil der SP die literaturbasierten Schwellenwerte statistisch signifikant überschritt.

Die Schwellenwerte betrugen 94% für Masern und Röteln und 91% für Windpocken.

Ergebnisse: Der Altersmedian der 14709 getesteten Personen betrug 27 Jahre, 72% waren männlich. Die niedrigste Immunität fand sich bei AS aus Ländern des Westbalkans: die geringste SP bei Masern bzw. Röteln hatten Albaner (66,8%; 95% KI 62,6 – 70,8%) bzw. Mazedonier (65,3%; 57,0 – 73,0%). Keine Gruppe war ausreichend gegen Masern oder Röteln geschützt. Nur Syrer waren ausreichend gegen Windpocken geschützt (92,5%; 91,1 – 93,8%), am niedrigsten war die SP bei Sudanesen (60,7%; 58,2%–63,1%). Diskussion: Nur wenige Gruppen der AS waren ausreichend gegen MRW geschützt. Priorisiertes Impfen von Gruppen mit niedriger SP sowie Risikogruppen ermöglicht auch bei begrenzten Ressourcen gezielte Prävention und effizientes Ausbruchsmanagement. In NI wurden gezielte Impfung bzw. Isolation erfolgreich zur Eingrenzung von Windpocken-Ausbrüchen in EAE angewendet. Die AS sollten über ihren Immunstatus informiert und notwendige Impfungen aktiv angeboten werden.