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DOI: 10.1055/s-0035-1567215
Das Denkparadigma der Forschungsethik
The Conceptual Paradigm of Research EthicsPublication History
Publication Date:
07 September 2017 (online)
Einleitung
Anna Brügger ist Physiotherapeutin in einem kleinen Krankenhaus. Zu ihren Aufgaben gehören neben der Behandlung von stationären und ambulanten Patienten auch die Betreuung und Durchführung von Studien im Rahmen eines interdisziplinären Teams. Momentan ist sie dabei, Patientinnen für eine Studie zu Brustkrebs zu rekrutieren.
Auch eine ihrer Patientinnen erfüllt alle Einschlusskriterien: Frau Sommer ist nach einer Krebsbehandlung in physiotherapeutischer Behandlung. Sie hat Strahlentherapie und die Entfernung von axillären Lymphknoten hinter sich und leidet resultierend daraus unter einer eingeschränkten Schulterbeweglichkeit. Der Arzt hatte sie aus diesem Grund zur Physiotherapie überwiesen. Die Behandlung dauert bereits ein halbes Jahr an, und zwischen ihr und der Therapeutin hat sich ein vertrautes Verhältnis entwickelt, indem Frau Sommer auch viel über ihr Privatleben und ihre Sorgen und Ängste berichtet. So äußert sie häufig, dass Anna eine große Hilfe für sie sei, da sie ihr alles erzählen könne und sie ihr voll und ganz vertraue. Dieses Verhältnis der Abhängigkeit lässt Anna Brügger aber zaudern, Frau Sommer nun zu fragen, ob sie an ihrer Studie teilnehmen möchte. Anna befürchtet, dass Frau Sommer ohne zu zögern – und ohne sich umfassend über die Studie zu informieren – zur Teilnahme bereit erklärt. Anna empfindet dies als Interessenkonflikt. Ihre Forschungskollegen sagen, sie mache sich hier zu viele Sorgen. Sie solle die Frau schnell in die Studie einschließen. Anna zögert dennoch. Was sollte sie am besten tun?
Dieses fiktive – aber dennoch realistische – Fallbeispiel soll einen potenziellen forschungsethischen Konflikt illustrieren. Während „Medizinethik“ als Disziplin allgemein versucht, die Entwicklungen unseres Gesundheitswesens in einer Werteanalyse zu begleiten, ist klassischer Inhalt der „Forschungsethik“ die genaue Betrachtung von konkreten und potenziellen Problemstellungen, die im Zuge der Durchführung von Studien am Menschen auftreten. In unserer vorliegenden Illustration nimmt Anna Brügger offensichtlich einen solchen forschungsethischen Konflikt in ihrer Arbeit wahr.
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Literatur
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