Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2016; 26(01): 9-16
DOI: 10.1055/s-0035-1565045
Wissenschaft und Forschung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Inkonsistenz und Selbstlimitierung bei der EFL-Leistungsdiagnostik nach Isernhagen unter Berücksichtigung sozioökonomischer Kontextfaktoren

Inconsistency and Self-limitation with the EFL Performance Diagnostic According to Isernhagen under Consideration of Socio-economic Context Factors
N. Geissler
1   Deutsche Rentenversicherung Braunschweig Hannover (DRV BS.-H.)
,
E. Andreeva
6   Medizinische Hochschule Hannover
,
W. Moesch
3   Arzt für Arbeitsmedizin Braunschweig
,
D. Kasprowski
4   Orthopädisches Rehabilitationszentrum Deutsche Rentenversicherung BS.-H. Bad Pyrmont
,
G. Schnalke
5   EFL Akademie Deutschland
,
A. Jakobs
5   EFL Akademie Deutschland
,
N. Vinagre
2   Universität Göttingen
,
A. Niklas
2   Universität Göttingen
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

eingereicht:   13 April 2015

angenommen: 28 September 2015

Publication Date:
23 February 2016 (online)

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Zusammenfassung

Die erwerbsbezogene motorische Leistungsfähigkeit kann messtechnisch nicht direkt erfasst werden. Die Ergebnisse der üblichen kurativ-medizinischen Diagnostik korrelieren nur unzureichend mit den tatsächlichen Auswirkungen körperlicher Beeinträchtigungen (Handicap) auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit. Assessmentsysteme dienen der Objektivierung des Leistungsvermögens und Steuerung zielgerichteter Hilfe zur Teilhabe (Participation). Neben den Kontextfaktoren der ICF ist die Leistungsbereitschaft der Probanden bei der Testdurchführung von motivationalen Faktoren beeinflusst. Ausgehend von kasuistischen Einzelbeobachtungen ließ sich ein erhöhtes Auftreten negativer Befundverzerrungen bei FCE-Tests bei sozioökonomischen Problemlagen vermuten. Standardisierte Assessmentsysteme beinhalten Konsistenzprüfungen um festzustellen, ob die beim Test gezeigte Leistung (Performance) unterhalb des tatsächlichen Leistungsvermögens (Capacity) liegt. In Deutschland ist das EFL-System nach Isernhagen (IWS FCE) am weitesten verbreitet. In einer Analyse wurden 310 EFL-Testprotokolle stationärer orthopädischer Reha-Patienten ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus bei Rentenantragstellern der Anteil schmerzbedingter Selbstlimitierungen auf 50% anstieg gegenüber 9% bei vorhandenem Arbeitsplatz. Die Leistungsbereitschaft wurde nur bei 42% der Rentenbewerber als zuverlässig eingeschätzt gegenüber 86% bei den Erwerbstätigen. Eindeutig inkonsistentes Verhalten wurde in der Rentengruppe bei 29% gegenüber 8% der Erwerbstätigen beobachtet. Arbeitslose zeigten nur wenig schlechtere Werte als die Erwerbstätigen. Diese Unterschiede waren statistisch signifikant (alle p-Werte < 0.01). Unabhängig von zugrunde liegender Erkrankung und tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen führte offenkundig bereits der Entschluss zur Rentenantragstellung zur motivationalen Einschränkungen und verfälschten Leistungsergebnissen. Auch unter Berücksichtigung der noch nicht abgeschlossenen kontroversen Diskussion über die Wertigkeit des Verfahrens erlaubt aus unserer Sicht das FCE-Verfahren nach Isernhagen unter Anwendung der vorgegebenen Konsistenzprüfung mit der ärztlichen Befundanalyse die zuverlässige Erfassung von Selbstlimitierungen.

Abstract

There is only a weak correspondence between conventional medical diagnostics and the impact of physical impairment (handicap) on work-related motor functioning capacity. Systems of functional capacity evaluation (FCE) are designed to document the performance and to facilitate interventions aimed at increasing participation. Besides the contextual factors classified in the ICF, motivation is essential for the performance of subjects in FCE tests. Based on clinical cases, we assume an increased proportion of biased test results in patients with socioeconomic problems. Standardised FCE systems include consistency checks to determine whether the level of test performance is below one’s actual capacities. There are symptom validity tests for patients with functional impairments. The Isernhagen Work Systems FCE is the most commonly used FCE tool in Germany. We performed a retrospective assessment of FCE test records obtained from 310 inpatients in orthopaedic rehabilitation. We found that the proportion of subjects with pain-related submaximal performance varied by employment status: 50% in disability claimants versus 9% in employees. Test motivation was considered to be reliable in 42% of the disability claimants compared to 86% of the employees. Disability claimants showed clearly inconsistent behaviour in 29% compared to 5% of the employees. Unemployed persons performed slightly less well than the employees. The between-group differences were statistically significant (all p<0.01). Thus, the decision to claim disability benefits seems to result in poorer test motivation (malingering) regardless of underlying disease and actual impairments. In combination with the conventional medical diagnostics, the FCE method provides a reliable documentation of submaximal functional performance.