Gesundheitswesen 2015; 77 - A90
DOI: 10.1055/s-0035-1563046

Chronobiologische und mögliche gesundheitliche Wirkungen von artifiziellem Licht

B Brenner 1, C Herr 1
  • 1Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, München

Seit 2012 wird die klassische Glühlampe nach und nach durch energieeffiziente „artifizielle“ Lichtquellen wie Kompakt-/Leuchtstofflampen und LED-Leuchtmittel ersetzt; auch LED-Bildschirme sind inzwischen Standard. Ab Sept. 2016 sollen auch Halogen-Glühlampen durch „artifizielle“ Lichtquellen ersetzt werden. Damit ist der Mensch verstärkt tagsüber, abends und nachts diesem künstlichen Licht ausgesetzt. Dieses meist „kalte“ Licht hat gegenüber dem kontinuierlichen warmen Lichtspektrum einer Glühbirne, Feuerquelle oder Abendsonne intensive charakteristische Blauanteile. Chronobiologisch spielt das Farbspektrum der Lichtquelle neben dem Zeitfenster der Lichtexposition eine wesentliche Rolle. So unterdrückt blaues Licht (464 – 484nm), das auf die Netzhaut des Auges trifft, besonders wirksam die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Der Spiegel des Schlafdruckfördernden und Tiefschlafinduzierenden Melatonins im Blut steigt normalerweise im Laufe der Nacht um den Faktor drei bis zwölf an, das Maximum wird gegen drei Uhr morgens erreicht. Durch eine abendliche Exposition gegenüber künstlichen Lichtquellen kann die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin effektiv unterdrückt werden. Über Licht und Melatonin können auch chronobiologische Rhythmen sowie der zirkadiane Schlaf-Wach-Zyklus beeinflusst werden. Der individuelle zirkadiane Rhythmus wird durch die innere Uhr im Gehirn, die im Nucleus Suprachiasmaticus (SCN) des Hypothalamus lokalisiert ist, vorgegeben. Die innere Uhr regelt auch Hormonausschüttung, Zellstoffwechsel, Zellwachstum, Zellteilung und Energiebilanz. Die innere Uhr kann durch Licht, das auf die Netzhaut des Auges trifft, an den aktuellen Tagesverlauf angepasst werden („jetlag“). Durch wiederholte Lichtexpositionen am Abend und in der Nacht kann über die Melatoninsuppression der Schlaf gestört, fragmentiert bzw. das zirkadiane System disruptiert werden. IARC hat 2007 Schichtarbeit in Verbindung mit einer Disruption des zirkadianen Systems als „wahrscheinlich krebserzeugend eingestuft. Es ist bekannt, dass Melatonin das Krebswachstum inhibiert bzw. verlangsamt und an der Reduktion von oxidativem Stress in der Zelle beteiligt ist. Es gibt Hinweise, dass im Tiefschlaf verschiedene Hormone die Immunabwehr unterstützen. Das Immunsystem wiederum kann über Zytokine Interferon und Tumornekrosefaktor Krebszellen paralysieren.

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