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DOI: 10.1055/s-0035-1558203
Berühmte Gynäkologen. Otto Spiegelberg (1830–1881) und die Kriterien der Ovarialgravidität
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
14. Dezember 2015 (online)
Die Kasuistik
Im Juli 1876 stellte sich eine 36-jährige Patientin in der Breslauer Poliklinik vor: Menarche mit 20 Jahren, I Para I Gravida. Seit Jahren chronische Unterbauchschmerzen links. Letzte Regel Ende Mai bis Anfang Juni. Der Untersuchungsbefund ergab eine kleinapfelgroße Geschwulst neben dem Uterus: „[…] Dabei lag die Wahrscheinlichkeit bestehender uteriner Schwangerschaft sehr nahe. – Wir verloren nun die Kranke aus den Augen […]“ [1]. Die Wiedervorstellung erfolgte erst am 5. März 1877. Wie damals üblich wurde der poliklinische Assistent in die Wohnung der Schwangeren gerufen. Die Frau war eindeutig hochschwanger. Wehen wurden seit dem 1. März 1877 angegeben, was retrospektiv in etwa dem Entbindungstermin entsprach. Bis dahin berichtete die Frau nur über vage Schmerzen bei ungestörtem Schwangerschaftsverlauf. Nun traten plötzlich schwerste Entzündungszeichen, Obstipation und Koterbrechen auf. Gegen 18 Uhr stellte Dr. Max Wiener richtig die Diagnose einer diffusen Peritonitis. Rechtsabdominal hörte er jedoch noch einen kräftigen fötalen Puls. Die gynäkologische Untersuchung ergab einen etwas hochgezogenen Uterus, der in seiner Größe einem 2. oder 3. Monat entsprach. Die Zervix war passierbar und eine dicke, teils abgelöste Dezidua gut palpabel. Der kindliche Kopf ballotiert im linken Beckeneingang. „Große Dosen Morphiums“ wurden gegeben. Otto Spiegelberg ([Abb. 1]) kam gegen 20 Uhr dazu und bestätigt die Befunde seines Assistenten: „Der Zustand war ein hoffnungsloser für die Mutter; es galt das Kind zu erhalten; lag ja auch in der Eröffnung, Entleerung und Reinigung der Bauchhöhle die einzige Möglichkeit, noch etwas für die Mutter zu thun. Ihre Einwilligung zur Gastrotomie gab diese gern […]“ Der nun folgende Eingriff war dramatisch: „[…] Die Operation, ausgeführt in der engen Kellerwohnung, auf dem niedrigen weichen Bette, beleuchtet nur durch eine kleine Petroleumlampe, und unterstützt nur durch die Hebamme und den, gleichzeitig die Chloroformnarkose überwachenden Herrn Dr. Wiener, war eine mühselige. Ein vom Nabel bis nahe an die Schamfuge geführter Schnitt entleerte eine große Masse dünnen, jauchigen, blutig tingierten Eiters. Der Fruchtsack lag frei zu Tage; er erschien dünnwandig, mit weiten Gefäßen durchzogen, der Kindskörper schimmerte durch. […] Fruchtwasser war nur ganz spärlich noch vorhanden. Rasch zog ich […] das Kind an den unteren Extremitäten zu Tage; es erschien leicht asphyktisch, wurde rasch abgenabelt und Dr. Wiener übergeben, unter dessen Händen es bald laut schrie […]“ [1]. In damals typischer Weise wurde der Bauch drainiert und verschlossen. Die Obduktion ergab folgenden Befund: „[…] Es fehlt der rechte Eierstock; in der Wand des Fruchtsackes wurden exquisite ovarielle Elemente aufgefunden; derselbe hatte die notwendige Verbindung mit dem Uterus durch das Eierstocksband, und die Tube verhielt sich ganz so, wie man es bei großen Ovarialtumoren so häufig sieht; sie war mit dem heranwachsenden Sacke, dem sie früh schon durch die Mesosalpinx adhärent geworden, enorm in die Länge gezogen, ihr Fimbrienende noch deutlich […]“ [1]. Es handelte sich also um eine ausgetragene Ovarialgravidität!
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Literatur
- 1 Spiegelberg O. Zur Casuistik der Ovarialschwangerschaft. Arch Gynäkol 1878; 13: 73-79
- 2 Rothert W Hrsg. Allgemeine Hannoversche Biografie. Band 1: Hannoversche Männer und Frauen seit 1866. Hannover: Sponholtz; 1912
- 3 Wiswe M. Persönlichkeiten der Heimat. Peine: Peiner Allgemeine Zeitung; 1974
- 4 Leopold G. Otto Spiegelberg †. Arch Gynäkol 1881; 18: 347-358
- 5 Ebert AD. Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten. Frankfurt/M.: Mabuse; 2008: 515-637
- 6 Spiegelberg O. Lehrbuch der Geburtshülfe für Aerzte und Studierende. 1. Auflage 1878, 2. Auflage 1880.. Lahr: Max Schauenburg; 1878. (1. Auflage) und 1880 (2. Auflage) sowie 1881 (3. Auflage)
- 7 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 11 Tit. IV Nr. 20 Bd. 3: Anstellung, Besoldung und Dienstverhältnisse der ordentlichen und außerordentlichen Professoren in der Medizinischen Fakultät der Universität Königsberg, Bd. 3, 1861 – 1865, S. 58 – 103.
- 8 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 4 Tit. IV Nr. 35 Bd. 3: Anstellung, Besoldung und Dienstverhältnisse der ordentlichen und außerordentlichen Professoren in der Medizinischen Fakultät der Universität Breslau, Bd. 3, 1863 – 1868, S. 62 – 134.
- 9 Kaufmann G Hrsg. Festschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Universität Breslau. Zweiter Teil. Ferdinand Hirt. Breslau: Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung; 1911: 239-336
- 10 Von Waldeyer W. Lebenserinnerungen. 2. Aufl.. Bonn: Friedrich Cohen; 1921: 140
- 11 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 4 Tit. IV Nr. 35 Bd. 3: Anstellung, Besoldung und Dienstverhältnisse der ordentlichen und außerordentlichen Professoren in der Medizinischen Fakultät der Universität Breslau, Bd. 3, 1863 – 1868, S. 176.
- 12 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vf Lit. S Nr. 59; Spiegelberg, Dr. Otto * 09. 01. 1830 in Peine (Königreich Hannover), † 09. 08. 1881 in Breslau. Gynäkologe; ordentlicher Professor und Direktor der Geburtshilflichen Klinik an der Universität Breslau, Medizinalrat, 1870 [11 Blatt]; Brief vom 15.09.1870.
- 13 Dohrn R. Geschichte der Geburtshülfe der Neuzeit. Erste Abtheilung. Tübingen: Franz Pietzcker; 1903: 99-100
- 14 Grimes HG, Nosal RA, Gallagher JC. Ovarian pregnancy: a series of 24 cases. Obstet Gynecol 1983; 61: 174-180
- 15 Cohnstein I. Beitrag zur Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutterhöhle. Arch Gynäkol 1877; 12: 355-382