Suchttherapie 2015; 16 - S_03_04
DOI: 10.1055/s-0035-1557510

Funktionale Gesundheit bei alkoholabhängigen Patienten zu Beginn einer stationären Entzugsbehandlung und nach sechs Monaten

A Silkens 1, N Scherbaum 1, A Buchholz 2
  • 1Klinik für abhängiges Verhalten & Suchtmedizin, LVR Klinik Essen
  • 2Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, UKE

Einleitung: Alkoholabhängige Patienten leiden neben der Abhängigkeitserkrankung (klassifiziert nach ICD-10)häufig unter diversen körperlichen, psychischen und sozialen Problemen, daher werden in Deutschland zunehmend qualifizierte Entzugsbehandlungen (QE) angeboten, deren Wirksamkeit jedoch bislang wenig evaluiert wurde. Die funktionale Gesundheit nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (kurz ICF) erfasst die Beeinträchtigungen, die mit dem Gesundheitsproblem in Zusammenhang stehen und erlaubt eine umfassende Therapieplanung.

Es soll die Wirksamkeit von qualifizierten Alkoholentzugsbehandlungen im Längsschnitt untersucht werden. Neben Abstinenzmaßen soll die funktionale Gesundheit zur Überprüfung der Wirksamkeit der QE erfasst werden.

Methoden: Im Rahmen des Projekts „Behandlungsallokation von Patienten mit alkoholbezogenen Störungen mithilfe der Dimensionskennwerte des MATE – Measurements in the Addictions for Triage and Evaluations“ (MATE-LOC) wurden Patienten befragt, die sich am Anfang einer QE befanden (T0). Sechs Monate nach Abschluss der Behandlung fand eine telefonische Katamneseerhebung statt (T1). Alkoholbezogene Maße wurden mit dem MATE erfasst. Die funktionale Gesundheit wurde mittels des MATE-ICN (ICF-Core Set and Need for care) erfasst, einem Teil des MATE, welcher speziell für den Suchtbereich ausgewählte Kategorien der ICF enthält. Diese werden zu den Summenwerten Beeinträchtigungen-Total, Beeinträchtigungen-Grundanforderung und Beeinträchtigungen-Beziehungen zusammengefasst. Berechnet wurden Veränderungs- sowie Zusammenhangsmaße.

Ergebnisse: Zu T0 wurden die Daten von 250 Patienten erhoben, an der T1 Erhebung nahmen 167 Patienten teil (67%). Die funktionale Gesundheit der Patienten verbesserte sich zu T1 signifikant. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Reduktion der Trinktage. Die Trinktage zu T1 standen in signifikantem Zusammenhang mit der funktionalen Gesundheit. Die Beeinträchtigungen in den Bereichen „Grundanforderungen“ und „Beziehungen“ waren zu T1 signifikant reduziert. Bei der Betrachtung von Einzelitems zeigten sich die stärksten Beeinträchtigungen zu T0 in den Bereichen „Erholung und Freizeit“, „mit Stress umgehen“, „Ernährung und Fitness“, und „Arbeit“. Weitere Ergebnisse werden auf dem Kongress präsentiert.

Diskussion: Die verbesserte funktionale Gesundheit steht in Zusammenhang mit einer Reduktion der Trinktage nach sechs Monaten, was auf eine gute Wirksamkeit der QE schließen lässt. Als Limitation ist allerdings das Fehlen einer Kontrollgruppe zu berücksichtigen. Neben dem Gesundheitsproblem, der Alkoholabhängigkeit, sollten zukünftig auch Belastungsfaktoren (u.a. Umgang mit Stress, fehlende Entspannungsfähigkeit, Arbeit) in der Behandlung erfasst werden, um stützende Faktoren individuell zu etablieren und gezielter Rückfällen und somit einer Chronifizierung der Erkrankung vorbeugen zu können.

Der MATE-ICN, als eines der ersten Erhebungsinstrumente speziell für den Suchtbereich und basierend auf der ICF, bietet eine gute Möglichkeit, diese relevanten Faktoren systematisch zu erfassen.