manuelletherapie 2015; 19(02): 59-60
DOI: 10.1055/s-0035-1552880
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

4. Freiburger Knorpeltage vom 23.–24. Januar 2015

Frederick Hirtz
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Publication Date:
19 May 2015 (online)

Der Fokus der 4. Freiburger Knorpeltage Ende Januar im Konzerthaus Freiburg lag auf „Standardverfahren in der Kniechirurgie“. Schwerpunktthemen waren diesmal Meniskus, vorderes Kreuzband (VKB) und Arthrosetherapie. Parallel fand am 2. Tag wieder ein Satellitensymposium für Physiotherapeuten statt.

Mit insgesamt rund 300 Teilnehmern ist der Kongress mittlerweile eine feste Institution in Freiburg und erfreut sich immer größerer Beliebtheit, erfreulicherweise auch unter Physiotherapeuten, die insbesondere an Tag 2 immerhin rund 1/6 der Teilnehmer ausmachten. Als Neuheit im diesjährigen Programm gab es die Möglichkeit, in sogenannten „Meet-the-Expert“-Sessions in kleiner, offener Runde mit ausgewählten Experten zu diskutieren sowie an 2 Podiumsdiskussionen teilzunehmen.

Auch wenn die Veranstaltung naturgemäß sehr chirurgisch geprägt ist, stellt sie für Physiotherapeuten dennoch eine Bereicherung dar, insbesondere, weil sie die Möglichkeit bietet, einen guten Überblick über aktuelle Trends und Entwicklungen in der Kniechirurgie und den direkten Austausch mit erfahrenen Operateuren zu erhalten.

Themen der 1. Session am Freitagvormittag waren Meniskusverletzungen, Meniskusnaht versus Teilresektion und Meniskusersatzverfahren. Nach wie vor wird die Mehrzahl der Meniskusverletzungen operativ versorgt und trotz der mittlerweile einheitlichen Präferenz für den Meniskuserhalt weiterhin überwiegend teilreseziert. Rund 35 % der über 50-Jährigen haben nachgewiesene Meniskusrisse, von denen allerdings 75 % asymptomatisch sind. Wird der Meniskus begleitend zu einer VKB-Rekonstruktion genäht, heilt er signifikant besser aus, gleichzeitig ist ein intaktes VKB für den Funktionserhalt des Meniskus essenziell. Bei isolierten Meniskusnähten lässt sich das Outcome ebenfalls verbessern, wenn parallel Wachstumsfaktoren/Stammzellen durch knochenstimulierende Techniken oder Einbringen von Fibrin Clots durchgeführt werden. Diese ergänzende Maßnahme empfahlen gleich mehrere Referenten. Bezüglich der postoperativen Nachbehandlung waren die meisten anwesenden Chirurgen in Bezug auf Flexionsbelastung zurückhaltend.

In der anschließenden Podiumsdiskussion zur Fragestellung, ob randomisierte kontrollierte Studien (RCT) die Realität der Meniskuschirurgie abbilden, gab es viel Kritik am Design bisheriger Studien, vor allem wegen der oft nicht auf die Allgemeinheit übertragbaren Probanden und der nicht ausreichend validierten Messverfahren. Besonders viel Kritik erhielt die oft als Evidenz für die konservative Therapie bei Meniskusverletzungen zitierte Studie von Moseley et al. [2]. Hauptkritikpunkte waren die nicht einheitlich angewandten Arthroskopieverfahren sowie die Tatsache, dass die untersuchten Probanden allesamt männliche Veteranen waren und somit keine Durchschnittspatienten abbilden.

Session 2 am Freitagnachmittag befasste sich mit aktuellen Trends zur VKB-Ruptur und der aktuellen Diskussion, ob operative Verfahren wirklich besser sind als konservative Therapieansätze. Dr. med. Matthias Feucht aus Freiburg gab einen guten Überblick über die aktuelle Studienlage und die nach wie vor schwierige Subgruppenbildung. Ein hohes Aktivitätsniveau, rezidivierende Giving-way-Episoden und Begleitverletzungen (z. B. Meniskus) gelten aber weiterhin als Operationsindikation. Dennoch kann auch eine Rekonstruktion die Arthrosebildung nicht verhindern. Eine aktuelle Studie von Chalmers et al. [1] konnte für die Rekonstruktion von isolierten VKB-Rupturen bezüglich Aktivitätsniveau und Sekundäreingriffen z. B. am Meniskus bezüglich Arthroseentwicklung und entgegen vieler Aussagen auch bezüglich der Stabilität keinen Vorteil gegenüber konservativ versorgten isolierten VKB-Rupturen nachweisen. Double-bundle-Techniken zeigen keinen entscheidenden Vorteil gegenüber Single-bundle-Techniken. Weiterhin steht die Rekonstruktion mit Patellarsehnentransplantat (BTB) vor allem wegen der hohen Prävalenz von späteren vorderen Knieschmerzen in der Kritik und wird in Deutschland nur noch selten verwendet.

Verschiedene konservative Ansätze mittels stabilisierender Orthesen (ACL-Jack) oder die weniger invasive Versorgung mit sogenannten Ligamys wurden vorgestellt –, allerdings sind beide Optionen bisher noch nicht überzeugend. Ein weiterer neuerer Ansatz war die Rekonstruktion des anterolateralen Ligaments (ALL) mit dem Ziel der Verbesserung der Rotationsstabilität. Prof. Philipp Niemeyer aus Freiburg berichtete, dass immerhin 80 % aller VKB-Rupturen mit einer ALL-Ruptur einhergehen. Die Relevanz dieser Struktur ist allerdings noch nicht abschließend geklärt und somit auch nicht der Mehrwehrt einer Rekonstruktion.

Das parallel stattgefunden Satellitensymposium für Physiotherapeuten am Samstag begann mit Einblicken in die Operationen. Spannend war vor allem die Vorstellung des KineSpring-Implantats als Therapiealternative für die mediale Gonarthrose. Bei diesem bisher weltweit erst ca. 800-mal angewandten Verfahren wird medial eine Feder fixiert, deren Spannung eine Distraktion des medialen Kompartiments erzielt. Entgegen des ersten Eindrucks sind bei den bisher Operierten trotz der direkten subkutanen Lage und der Nähe zu Weichteilstrukturen wie der Insertion des Pes anserinus und des R. infrapatellaris bisher wenige Weichteilirritationen bekannt. Hier gilt es, die Langzeitergebnisse in einigen Jahren und die Sportfähigkeit abzuwarten, über die bis dato noch keine eindeutige Aussagen möglich sind.

Als weitere Operationen wurden eine Hüftarthroskopie bei CAM-Impingement und die Refixation einer Mehrfachfragmentfraktur der Patella mittels winkelstabiler Platte angeführt. Die Tatsache, dass rund 40 % der Patienten nach Patellafraktur vor allem retropatellar Probleme haben, war auch Thema in der späteren 2. Podiumsdiskussion zu Grenzbereichen der Knorpelchirurgie. Retropatellare Knorpelschäden werden aufgrund der schlechten Ergebnisse kaum noch mit Knorpeltransplanten versorgt. In dieser Diskussion erfolgte auch nochmals ein klares Statement zur offenen und ehrlichen Kommunikation mit den Patienten, dass eine Arthrose nicht geheilt, sondern nur aufgehalten werden kann.

Im 2. Teil des Satellitensymposiums stellte Ulrich Maroska von der Schulthess Klinik Zürich die Arthrofibrose als postoperative Komplikation dar. Im Rahmen der physiotherapeutischen Behandlung betonte er die Reduktion der Sympathikusaktivität, aber auch aktive Therapie im schmerzfreien Bereich. Wolfgang Schoch aus Freiburg präsentierte praxisorientiert und sehr anschaulich Möglichkeiten zum dynamischen Beinachsentraining. Sebastian Köcker aus Freiburg bot anhand aktueller Evidenz die Nachbehandlung der VKB-Ruptur operativ und konservativ dar. Sein Appell ging an die frühzeitige Extensionsmobilisation, welche nach 3 Wochen vollständig erreicht werden sollte und signifikant das spätere Outcome beeinflusst sowie frühzeitiges Krafttraining ab der 3./4. Woche, welches entgegen vieler Ängste zu keiner Transplantatlockerung führt. Postoperative Orthesenversorgung bietet keinen zusätzlichen Schutz für das Transplantat, aber den Patienten oftmals subjektive Sicherheit.

Die weiteren Vorträge befassten sich mit dem idealen Sportschuh, der Anwendung von Elektrostimulationen in der Rehabilitation von Muskelatrophien und dem Golfspieler als anspruchsvollem sowie lukrativem Patientengut. Allerdings fehlte diesem Vortrag der Zusammenhang zum Fokusthema.

Insgesamt handelte es sich um eine lohnende Veranstaltung, die entgegen dem vielleicht etwas irreführenden Namen breit aufgestellt ist und besonders für Physiotherapeuten viel zu bieten hat. Vielleicht schaffen es die Physiotherapeuten ja sogar irgendwann, aus dem Satellitenstatus in den Hauptkongress hineinzuwandern.

 
  • Literatur

  • 1 Chalmers PN, Mall NA, Moric M et al. Does ACL Reconstruction Alter Natural History? A Systematic Literature Review of Long-Term Outcomes. J Bone Joint Surg Am 2014; 96: 292-300
  • 2 Moseley JB, O’Malley K, Petersen NJ et al. A Controlled Trial of Arthroscopic Surgery for Osteoarthritis of the Knee. N Engl J Med 2002; 347: 81-88