Gesundheitswesen 2015; 16 - V30
DOI: 10.1055/s-0035-1546870

Umweltmedizinische Relevanz von Hochspannungsleitungen und Aspekte zur Risikokommunikation

E Tomasic 1, D Twardella 1, S Kolb 1, C Herr 2
  • 1Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Sachgebiet Arbeits- und Umweltmedizin/-epidemiologie, München
  • 2Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Präsidentin der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP), München

Elektrische und magnetische Felder mit Frequenzen zwischen 1 Hz und 100 kHz werden den niederfrequenten Feldern zugeordnet. Hierzu gehören z.B. elektrische und magnetische Felder, die durch die Stromversorgung mit 50 Hz und die elektrifizierten Verkehrssysteme wie Eisenbahnen mit 16,7 Hz entstehen. In Deutschland wurde für Hochspannungsleitungen bisher ausschließlich Wechselstromübertragung (HWÜ) genutzt. Im Rahmen des Ausbaus des Stromnetzes werden zukünftig auch Hochspannungsleitungen mit Gleichstromübertragung (HGÜ) zum Einsatz kommen. Sie haben auf weitere Entfernungen geringere Übertragungsverluste als die Übertragung mit Wechselstrom. Für elektrische und magnetische Wechselfelder mit einer Frequenz von 50 Hz sind keine Wirkungen im menschlichen Körper bei Einhaltung der in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte durch Studien belegt. Gleichwohl gibt es aktuell Forschung in Bezug auf die Wirkung niederfrequenter Felder (unter dem Grenzwert) auf die Zellmembran, den Hormonhaushalt, Enzymaktivitäten, die DNA-Synthese sowie auf bestimmte biologische Botenstoffe, neurodegenerative Erkrankungen und eine, das Krebswachstum fördernde Wirkung. Im Zusammenhang mit Wechselstrom wurde in epidemiologischen Studien eine Assoziation zwischen nächtlicher Magnetfeldexposition gegenüber niederfrequenten magnetischen Feldern (0,4µT) und Leukämien im Kindesalter beobachtet. Für Deutschland wird geschätzt, dass 3 bis 4 der jährlich etwa 620 Leukämiefälle bei Kindern auf die niederfrequenten Magnetfelder zurückgeführt werden könnten, wenn der beobachtete statistische Zusammenhang ursächlicher Natur wäre. Hierfür gibt es jedoch aus experimentellen Studien bisher keine überzeugenden Daten. Die Exposition gegenüber diesen Feldern kommt sehr selten bei vor. Ursachen können Erdkabel, Straßenbeleuchtungen oder veraltete Elektroinstallationen (zum Beispiel Steigleitungen) sein. Diese Studien hatten zur Folge, dass die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2001 niederfrequente magnetische Felder (NF-MF) als 2B (Möglicherweise krebserzeugend für den Menschen) einstufte. In einer neueren Studie zu HWÜ wurde beobachtet, dass sich der zuvor geschilderte statistische Zusammenhang über einen Zeitraum von 46 Jahre geändert hat. Hieraus wurde geschlossen, dass andere kausale Erklärungen als die Felder möglich sein könnten wie z.B. Rauchen, Verkehr oder Herbizideinsatz. Im Hinblick auf die Felder im Zusammenhang mit Gleichstrom ist folgendes zu berücksichtigen: Das elektrische Feld des Gleichstroms gelangt praktisch nicht ins Körperinnere und ruft daher keine direkten Wirkungen hervor, Als indirekte Wirkungen können Wahrnehmung und Belästigung (Funkenentladungen) auftreten. Die Wirkschwellen hierfür sind aktuell nicht zu bestimmen. Laut 26. BImSchV sind die Trassen jedoch so auszulegen, dass eine erhebliche Belästigung oder Schäden durch Funkenentladungen vermieden werden. Magnetische Felder des Gleichstroms liegen selbst in Trassenmitte in etwa in Höhe der in der Natur und im Wohnumfeld auftretenden Werte, d.h.in der Höhe des Erdmagnetfeldes: 45 Mikrotesla. Die 26. BImSchV sieht einen Grenzwert von 500 Mikrotesla vor. Dieser soll vor der Störung von medizinischen Hilfsmitteln wie Herzschrittmachern schützen. Eine Metaanalyse von 15 Studien zu dem Zusammenhang zwischen Kinderleukämie und der Exposition gegenüber Erdmagnetfeldern zeigte keine signifikanten Ergebnisse, wobei unbekannte Cofaktoren und eine mögliche Expositionsmissklassifikation die Aussagekraft dieser Studie einschränken. Sogenannte Koronareffekte betreffen die Luft im Umfeld der Gleichstromtrassen. Dabei werden Konzentrationen von Ozon und Stickoxiden in der Außenluft nur unerheblich beeinflusst. Im Hinblick auf entstehende ionisierte Luftmoleküle bestehen noch Unklarheiten. Hinsichtlich der Risikokommunikation von gesundheitlichen Wirkungen der Felder von Stromtrassen im Rahmen des Netzausbaus sind verschiedene Aspekte relevant. Zum einen sind von dem Ausbau der Stromtrasse eine Vielzahl von Lebensbereichen neben der Gesundheit berührt: Verlust des Grundstückwerts, Veränderung des sichtbaren Landschaftsbilds, mögliche Einbußen im Tourismus, Auswirkungen auf die Umwelt u.v.a.m. Im Risikokommunikationsprozess werden Alarmierungen aufmerksamer und glaubwürdiger als Entwarnungen (von vermeintlichen „Abwieglern“) wahrgenommen. Eine Argumentation im Hinblick auf die eingehaltenen Grenzwerte ist meist aufgrund von Verständnisschwierigkeiten schwierig. Grenzwerte werden als nicht nachvollziehbare Erfindungen aus dem „Elfenbeinturm“ von Wissenschaft und Behörden erlebt, die die betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht angemessen in ihrem Lebensumfeld berücksichtigen. Eine Absenkung von gesundheitlich basierten Grenzwerten, die aus Vorsorgegründen ohne neue Erkenntnisse vorgenommen wird, ist dann auch nicht mit einem größeren Sicherheitsgefühl für die Bevölkerung verbunden, sondern mit Verunsicherung. Betroffene fühlen sich bestätig darin, dass die Expositionen doch relevanter für die Gesundheit sei als zunächst behauptet. Somit wird dadurch auch keine bessere Akzeptanz z.B. für einen Trassenausbau erreicht. Um dies zu erreichen erscheint es sinnvoller die Bevölkerung proaktiv während des Ausbaus vor Ort durch Aufklärung (Pohl 2014) z.B. in regionalen Workshops zu begleiten. Ein Beteiligungsverfahren, in dem die Bürger sich Informationen an zentralen Stellen, Behörden etc. aktiv „holen“ müssen, kann diese zugegebenermaßen aufwändigen Aktivitäten vor Ort nicht ersetzen. Entscheidend für die Akzeptanz ist auch die Wahrnehmbarkeit der Veränderung (z.B. Windenergieanlagen oder Stromtrassen in der unmittelbaren Wohnumwelt. Dies sollte – neben den Vorgaben aus dem Immissionsschutz im Hinblick auf die Grenzwerte – auch bei der Errichtung von Stromtrassen Berücksichtigung finden. So konnten Wiedmann et. al 2013 zeigen, dass die Akzeptanzschwelle für Hochspannungsleitungen von Studienteilnehmern bei 850 m lag. Diese psychologische Schutzzone ist im Hinblick auf die Akzeptanz und auch möglicher Noceboeffekte von hoher Relevanz. Sie muss als Teil des Gesundheitsschutzes gesehen werden und Berücksichtigung finden um entsprechende Ausbauvorhaben im Umweltbereich erfolgreich umzusetzen.