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DOI: 10.1055/s-0035-1545380
CB-CFT – Klassifikationsbasierte kognitive funktionelle Therapie in Bad Nauheim
Publication History
Publication Date:
13 February 2015 (online)
Klaus Orthmayr und Wim Dankaerts studierten beide an der Curtin-University in Perth (Australien), wo sie allerdings kaum Kontakt hatten. Sie trafen sich nun zum 1. Mal im Oktober 2014 in Bad Nauheim. Klaus Orthmayr ist der Ausbildungsleiter von Manual Therapy Education für den Kursort Bad Nauheim. Er engagierte Wim Dankaerts als Dozenten für einen der seltenen Kurse der CB-CFT in Deutschland. Dankaerts ist Professor für muskuloskeletale Physiotherapie, forscht an der Universität in Leuven (Belgien) und arbeitet als Kliniker in Tienen.
28 Teilnehmer (Physiotherapeuten, Sportwissenschaftler und ein Arzt) erlebten an 3 Tagen einen inspirierenden Kurs mit einem konzentrierten, begeisternden Dozenten. Schon Dankaerts 1. Frage stellte die Glaubensgrundsätze der Anwesenden auf den Prüfstein. „Welche Gründe gibt es Eurer Meinung nach für persistierende Rückenschmerzen?“ Da erwiesen ist, dass die Überzeugungen der Therapeuten das Therapieergebnis mitbestimmen können, schien es unerlässlich, sich zunächst über die eigenen Vorstellungen im Klaren zu sein, um sie dann zu ergänzen, zu revidieren oder zu bestätigen. Gängige Vorstellungen und die Auswirkungen bestimmter Aussagen auf Patienten, wie z. B. „Ihre Wirbelsäule ist instabil“ oder „Bücken ist gefährlich“ wurden diskutiert.
Dankaerts stellte die momentane Evidenzlage zu konservativer Therapie von persistierendem nicht spezifischem Rückenschmerz vor. Keine Intervention scheint überlegen zu sein, Schmerzen können scheinbar nur minimal und Funktionsbeeinträchtigungen moderat beeinflusst werden. Leitlinien empfehlen bei chronischen unspezifischen Rückenschmerzen einen multimodalen Ansatz, der aber nicht immer verfügbar ist.
Laut Dankaerts bietet CB-CFT ein multidimensionales, patientenzentriertes Clinical Reasoning Framework, ein Gerüst, einen Rahmen, anhand dessen die Therapeuten die Problematik der Patienten analysieren können. Die Therapeuten ziehen verschiedene Faktoren (z. B. Schmerzstadium, Triage Red Flags/spezifischer/unspezifischer Schmerz, mechanisches Schmerzverhalten, Schmerztyp, kognitive/psychosoziale/soziale/Lifestyle-Faktoren, Überzeugungen, adaptives/maladaptives Verhalten, Kontroll- oder Bewegungsstörungen) in ihre Überlegungen bezüglich des Therapieansatzes mit ein. Dabei bedienen sie sich bei der Befragung der Patienten der Methode des motivierenden Interviews. Durch diesen offenen Stil der Gesprächsführung holen die Therapeuten die Patienten bei der Lösungsfindung mit ins Boot und übertragen ihm Autonomie. Während der körperlichen Untersuchung und Bewegungsanalyse beurteilen die Therapeuten unter anderem die Bewegungsqualität, Defizite in der Bewegungskontrolle oder -ausmaß sowie die defizitäre Bewegungsrichtung. Sie beobachten die Patienten hinsichtlich Vermeidungsstrategien und adaptiver/maladaptiver Bewegungsmuster. Nach Ausschluss von spezifischen Rückenschmerzen, Red Flags und zentralen Schmerzmechanismen bilden z. B. „Movement-, Control- oder Loading Impairment Subklassifikationen, die jedoch nicht als starre „Schubladen“ fungieren. Das Ergebnis dieser multidimensionalen und multifaktoriellen Analyse ist immer eine sehr patientenspezifische Therapie, die auf kognitive und körperliche Aspekte zielt. Sie beinhaltet einen strukturierten Behandlungsaufbau nach dem Prinzip der „Graded Exposure“ (abgestufte Belastungssteigerung und Konfrontation mit bisher vermiedenen Bewegungsmustern). Das Therapieziel ist eine normale Funktion, verbessertes Körperbewusstsein und die Integration der neuen Strategien in das alltägliche Leben.
Dankaerts demonstrierte dieses Vorgehen eindrücklich anhand von 2 sehr unterschiedlichen Patienten, die er im Kurs befragte, untersuchte und mit ihnen Lösungen erarbeitete. Trotz der Sprachbarriere (Dankaerts sprach Englisch, die Patienten Deutsch) konnte Dankaerts mithilfe des Übersetzers Orthmayr die Situation der Patienten nachvollziehbar analysieren. Er hielt ihren bisherigen Weg auf einer Zeitlinie fest, um einen ersten Überblick über die Entwicklung des chronischen Schmerzes zu erhalten. Nach dem Gespräch und der Bewegungsanalyse entwickelte er mit den Patienten Strategien, aus dem bisherigen Teufelskreis herauszukommen und formulierte mit ihnen Ziele. Beide Patienten – so schien es zumindest – gingen mit einer Perspektive aus dem Kurs.
Die Intertester-Reliabilität des Klassifikationssystems ist moderat bis exzellent [1], [2]. Eine in 2013 publizierte Studie von Vibe Fersum et al. [3] verglich CB-CFT mit Manueller Therapie und Übungen bei Patienten mit nicht spezifischen chronischen Rückenschmerzen. Dabei schnitt CB-CFT bezüglich Schmerzreduktion, Verbesserung von Einschränkungen, Angstvermeidungsverhalten, Stimmung und Arbeitsunfähigkeit besser ab [3].
Dankaerts verstand es, die umfangreiche Theorie konzentriert und präsent zu vermitteln. Die Unterrichtssprache Englisch schien keinen der Teilnehmer davon abzuhalten, sich an den immer wieder aufkeimenden regen Diskussionen zu beteiligen.
Orthmayr plant für 2015 eine Wiederholung des Kurses und einen Aufbaukurs.
Wim Dankaerts gehört zur Gruppe um Peter O‘Sullivan, einem australischen Physiotherapeuten, Dozenten und Forscher auf dem Gebiet von muskuloskeletalen Schmerzen. Ausführliche Informationen über die Arbeit dieser Gruppe finden sich unter: www.pain-ed.com.
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Literatur
- 1 Dankaerts W, O‘Sullivan PB, Straker LM et al. The inter-examiner reliability of a classification method for non-specific chronic low back pain patients with motor control impairment. Man Ther 2006; 11: 28-39
- 2 Vibe FersumK, O’Sullivan PB, Kvåle A et al. Inter-examiner reliability of a classification system for patients with non-specific low back pain. Man Ther 2009; 14: 555-561
- 3 Vibe FersumK, O’Sullivan P, Skouen JS et al. Efficacy of classification-based cognitive functional therapy in patients with non-specific chronic low back pain: a randomized controlled trial. Eur J Pain 2013; 17: 916-928