Z Geburtshilfe Neonatol 2015; 219(06): 293-294
DOI: 10.1055/s-0034-1398059
Geschichte der Perinatalmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antike geburtshilfliche Instrumente – Perforation und Extraktion auf natürlichem Wege

Further Information

Publication History

Publication Date:
07 January 2016 (online)

Franz v. Winckel schrieb 1893 in seinem Lehrbuch „Die Eröffnung des kindlichen Kopfes hat den Zweck, auch da die Geburt auf natürlichem Wege noch möglich zu machen, wo ein unverkleinerter Kopf eines ausgetragenen oder reifen Kindes das mütterliche Becken nicht passieren kann …

Die Frage, ob man ein lebendes Kind perforieren müsse, hat das Gewissen der Ärzte zu allen Zeiten bewegt. Da sich aber auch in der Hand von Männern, welche sehr operationslustig sind, die Verluste an Müttern nach der Perforation gleich Null, nach dem Kaiserschnitt dagegen auf wenigstens 8,4 % berechnen, so wird die Perforation des lebenden Kindes für alle Fälle ihr Recht behalten.“

Mit dieser Stellungnahme gab v. Winckel die damalige Meinung der meisten Geburtshelfer wieder. Aber F. B. Osiander vertrat dagegen schon 1821 den Standpunkt, dass überall, wo man die Perforation gemacht hätte, die Zangenoperation oder der Kaiserschnitt indiziert gewesen wäre.

Die englischen Geburtshelfer waren entgegengesetzter Meinung. Noch 10 Jahre später, im Jahre 1831, schrieb R. Gooch in seinem Hebammenlehrbuch:

„It is better to destroy the child, even unnecessesarily, than allow symptoms to occur which will seriously endanger the life of the mother. My predecessor W. Thyme used to say, that you better open six heads unnecessarily, than lose one woman.”

Wenn wir die Beschreibung einer Perforation mit anschließender Extraktion von damals lesen und die dazu verwendeten Instrumente betrachten ( [Abb. 1]), so schaudert es einen. Heute noch lebende Geburtshelfer, die solche mörderischen Operationen haben durchführen müssen, sind Greise geworden und erinnern sich noch an ihre Hilflosigkeit, die geburtshilfliche Situation nicht anders als mit einer Perforation des kindlichen Kopfes lösen zu können.

Zoom Image
Abb. 1 Instrumente zur Perforation des fetalen Schädels (Cranioclasten; aus dem Lehrbuch der Geburtshilfe von Franz von Winckel, 1893).

Die Beschreibung der Operation lässt uns in ihrer kühlen Sachlichkeit gruseln: „Der Cranioclast ist im Stande, einzelne Kopfknochen am Schädeldache zu zermalmen … Wer den Cranioclasten verwenden will, perforire mit einem scheeren- oder dolchförmigen Perforatorium, erweitere die Öffnung des Schädels reichlich durch Spreizen der Schneiden. Diese eingeführte Hälfte zerstört mit einigen Bewegungen das Gehirn und da verlängerte Mark … Auch der scharfe Haken kommt bei der Extraktion in Betracht. Er nimmt am wenigsten Raum in Anspruch. Es ist jedoch das gefährlichste unter allen Instrumenten. Denn die Spitzen durchdringt die Schädelknochen sehr leicht und reisst aus, wobei die Genitalien durchfurcht werden können wie das Erdreich von der Pflugschaar. Beide Oberarme des Operateurs müssen fest am Brustkorb angeschlossen, die Vorderarme gegenseitig im gleichen Abstande gehalten und der Zug mit dem ganzen Oberkörper ausgeführt werden.“

So steht es im Lehrbuch von Paul Zweifel aus dem Jahre 1895. Zweifel ist sicher kein Sadist gewesen, auch wenn das Bild vom Pflugschar einen schaudern lässt.

Auf der  [Abb. 2] sehen wir einen seriösen Herren mit gepflegtem Bart und zugeknöpfter Weste, die Ärmel des Hemdes aufgekrempelt, mit angelegten Unterarmen seine Arbeit vollbringen.

Zoom Image
Abb. 2 Durchführung der Perforation des fetalen Schädels (Craniotomie; aus dem Lehrbuch der Geburtshilfe von Paul Zweifel, 1895).

Es gibt wohl kaum eine Operation, für die eine solche Fülle mannigfach gestalteter Werkzeuge und Methoden ersonnen wurde, wie dies bezüglich der Craniotomie der Fall war. Wenn wir das Arsenal der Instrumente sehen, das zur Craniotomie eingesetzt wurde, ist uns der Satz des Genfer Geburtshelfers R. de Seigneux verständlich: „Der Arzt sollte stets der Feinfühligkeit der Patientinnen und ihrer Angehörigen Rechnung tragen. Ein wahres Arsenal chirurgischer Instrumente mit sich zu führen, ist ja schön und gut, nur sollte der Laie so wenig als möglich davon zu Gesicht bekommen.“

Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch hieß der Grundsatz nicht mehr: „Erst die Mutter, dann das Kind“, sondern „Nicht nur die Mutter, auch das Kind.“

So formulierte B. König aus Freiburg auf der Naturforscher-Versammlung 1905 in Meran, wo die Section der Geburtshelfer zusammengekommen war:

„Wir halten uns vielmehr berechtigt, ausschließlich im Interesse des Kindes geburtshülfliche Operationen auszuführen.“

Entscheidend für die veränderte Einstellung zum Recht des Kindes war die verbesserte Operationstechnik und veränderte Indikationsstellung beim Kaiserschnitt und die damit einhergehende geringere Morbidität und Mortalität. Das Kind wurde nicht mehr als Geburtsobjekt angesehen, sondern es wurde ihm in seiner Subjektivität ans Licht geholfen.

Die Abbildungen sind den Lehrbüchern der Geburtshilfe von Franz v. Winckel (1893) und Paul Zweifel (1895) entnommen.

Prof. Dr. Volker Lehmann, Hamburg