Klin Monbl Augenheilkd 2014; 231 - R22
DOI: 10.1055/s-0034-1396471

Heterophorie und Winkelfehlsichtigkeit

G Kommerell 1
  • 1Freiburg i.Br.- Universitäts-Augenklinik

Die meisten Menschen schielen nicht. Das verdanken sie dem Fusionsregelkreis. Um eine Heterophorie aufzudecken, muss der Fusionsregelkreis geöffnet werden. Dies kann auf dreierlei Weise geschehen.

1. Dissoziierte Heterophorie: Man bietet beiden Augen völlig verschiedene Bilder dar, indem man z.B. ein Auge verdeckt. Dadurch gibt es die im Fusionsregelkreis als Fehlersignal fungierende Disparität nicht.

2. Assoziierte Heterophorie: Man bietet beiden Augen fast gleiche Bilder an, die sich nur durch kleine Markierungen unterscheiden, z.B. durch je einen Nonius-Strich, im rechten Auge oberhalb, im linken unterhalb des Fixierpunkts. Man verstärkt Prismen, bis die Nonius-Striche binokular genau übereinander wahrgenommen werden. Die dazu erforderliche Prismenstärke entspricht dem Heterophoriewinkel. Der Fusionsregelkreis wird dadurch geöffnet, dass man mit den Prismen die als Fehlersignal fungierende Disparität kontinuierlich auf null setzt und dadurch unwirksam macht. Das Prinzip der assoziierten Heterophorie wird auch bei der Bestimmung der Winkelfehlsichtigkeit mit der Mess- und Korrektionsmethode nach Hans-Jachim Haase (MKH) angewandt. Zusätzlich wird bei der MKH der Valenztest eingesetzt. Allerdings wird der Valenztest neuerdings auch von Vertretern der MKH skeptisch bewertet, da sich die diesem Test von Haase zugeschriebene Aussagekraft nicht bestätigt hat.

3.: Der Patient blickt mit beiden Augen auf völlig gleiche Bilder. Dabei lässt man ihn die ihm angenehme Prismenstärke selbst auswählen. Wie bei der assoziierten Heterophorie macht er den Fusionsregelkreis unwirksam, indem er mit dem passenden Prisma das Fehlersignaal auf null setzt und dadurch seinen Heterophoriewinkel bestimmt. – Heterophorie führt nur selten zu Beschwerden. Die Stärke der gegebenenfalls erforderlichen Korrektionsprismen sollte der Patient unter den gleichen Sehbedingungen ermitteln, bei denen er Beschwerden bekommen hat, z.B. beim Blick auf einen Lesetext. Besondere Apparate sind nicht erforderlich oder sogar nachteilig, da sie zu Artefakten führen können. Es genügt eine Prismenleiste. Freiburger Studien haben ergeben, dass der Heterophoriewinkel bei vielen Menschen stark schwankt. Nur wenn ein Patient bei wiederholtem Suchen mit der Prismenleiste immer wieder ähnliche Werte findet, sind therapeutische Prismen zu erwägen.