Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75(1): 39-40
DOI: 10.1055/s-0034-1396156
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Berühmte Gynäkologen. Hermann Knaus und „die periodische Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes“

Andreas D. Ebert
,
Matthias David
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Publication Date:
04 February 2015 (online)

Die wissenschaftlichen, gesellschafts- und gesundheitspolitischen sowie die ideologischen Kämpfe um die „Verhütung“ reichen bis in die heutige Zeit. 1934 erschien aus der Feder von Prof. Hermann Knaus im Wiener Maudrich Verlag ein Buch, das seinem – im deutschsprachigen Raum schon recht bekannten – Autor schlagartig wissenschaftlichen Weltruhm bescherte: „Die periodische Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes. Der Weg zur natürlichen Geburtenregelung“ [1], [2]. Die Grundaussagen waren:

  1. Am Myometrium besteht ein Antagonismus zwischen Progesteron und Oxytocin.

  2. Unter physiologischen Bedingungen ist die Corpus-luteum-Phase konstant – die Ovulation erfolgt am 15. Tag vor der nächsten Menstruation.

  3. Unter physiologischen Bedingungen kann man die fruchtbaren Tage wie folgt berechnen, wenn die Frau einen 12-monatigen Zykluskalender geführt hat:

    • erster fruchtbarer Tag = kürzester bisheriger Zyklus minus 18 Tage

    • letzter fruchtbarer Tag = längster bisheriger Zyklus minus 11 Tage

Damals konnte ein Erfolg zu diesem Thema auch einem charismatischen Forscher Ärger bereiten. Das Buch passte spätestens seit dem „Anschluss Österreichs“ nicht in die nationalsozialistische Politik der „Volksgesundheit“. Man sah zunächst mehr die Verhütung einer Schwangerschaft als die Optimierung der Konzeption, die dem Autor eigentlich vorschwebte. So ist es nicht verwunderlich, dass Knaus zu den Deutschen Gynäkologen-Kongressen 1935 in München, 1937 in Berlin und 1941 in Wien nicht zu einem entsprechenden Hauptreferat eingeladen wurde. 1951 wurde jedoch die Lehre von Knaus von Papst Pius VII. zur einzig tolerablen Verhütungsmethode erklärt.

Hermann Knaus ([Abb. 1]) wurde am 19.10.1892 in St. Veit (Kärnten) geboren. Nach dem Abitur studierte er 2 Jahre Medizin an der Universität Graz, bevor er in der österreichisch-ungarischen Armee am Ersten Weltkrieg teilnahm, aus dem er als Oberleutnant der Luftwaffe mehrfach hochdekoriert zurückkehrte. 1918 setzte er das Medizinstudium fort; 1920 erfolgte die Promotion. Die damals übliche Zeit als sog. „Operationszögling“ absolvierte Knaus in der Grazer Universitätsklinik für Chirurgie (Direktor: Prof. v. Hacker) sowie an der Universitätsfrauenklinik (Direktor: Prof. Emil Knauer). Bei Knauer erhielt Knaus 1923 eine der begehrten Assistentenstellen. Und noch einmal hatte Knaus Glück: er konnte in den Jahren 1924 und 1925 als Rockefeller-Fellow an den Pharmakologischen Instituten von Prof. J. A. Clark (London), Prof. W. Dixon (Cambridge) und am pflanzenphysiologischen Institut von Prof. F. H. A. Marshall (Cambridge) forschen [3], [4].

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Abb. 1 Hermann Knaus (1892–1970) (Quelle: [5]).

1927 habilitierte sich Knaus an der Franzens-Universität Graz, 1930 erfolgte die Ernennung zum a. o. Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe. 1934 erhielt er die Berufung an die Deutsche Karls-Universität Prag, wo Knaus Nachfolger des an die II. Universitätsfrauenklinik nach Wien berufenen Wertheim-Schülers Wilhelm Weibel (1876–1945) wurde [3]. Knaus schlug in seinen Prager Jahren Berufungen an die Universitäten Graz (Nachfolge Emil Knauer) und Innsbruck (Nachfolge Isidor Amreich) aus [7]. Interessanterweise nahm auch die Universität Istanbul 1939 Fühlung zu Knaus auf, der zeitweise von den türkischen Behörden als möglicher Kandidat für die Nachfolge Wilhelm Liepmanns gehandelt wurde und zwar im Irrglauben, dass Knaus „Nichtarier“ sei [8].

1929 publizierte Knaus seine experimentellen Studien zur Ovulation bei gesunden, regelmäßig menstruierenden Frauen und betonte, dass bei diesen der Ovulationstermin ohne größere Verschiebungen in die Zeit zwischen dem 14. und 16. Zyklustag fällt [9]. Die Corpus-luteum-Phase wurde von Knaus als 14-tägig konstant angenommen. 10 Tage brauche das Ei bis zur Implantationsreife. Ein genauer Menstruationskalender muss geführt werden [10], [11], [12], [13]. Wenig später erschien die Arbeit des Chefarztes der gynäkologischen Abteilung des Takeyama-Krankenhauses zu Niigata (Japan), Kyūsaku Ogino ([Abb. 2]), der unabhängig (und in Japan etwas früher als Knaus) ganz ähnliche Befunde demonstrierte [14]: „… Bekanntlich hat Knaus unabhängig von mir eine ähnliche Ansicht über den Zeitpunkt der Konzeptionsfähigkeit des Weibes veröffentlicht, dahingehend, dass eine regelmäßig, 4-wöchentlich menstruierende Frau nur in der Zeit vom 11.–17. Tage des mensuellen Zyklus empfangen könne (…) 1931 äußerte er sich dahin, dass bei Frauen mit 36–30-tägigen Zyklen das Konzeptionsoptimum auf den 9.–17. Tag nach Beginn der letzten Menses falle. Damit ist es zwischen Knaus und mir, abgesehen von den seltenen Konzeptionsterminen, zur Übereinstimmung gekommen …“.

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Abb. 2 Kyūsaku Ogino (1882–1975) (Quelle: [6]).

Knaus ging in seinen Publikationen und Diskussionsbeiträgen mit seinen wissenschaftlichen Opponenten scharf ins Gericht [15], [18]. Hingewiesen sei speziell auf die Kontroverse mit dem Berliner Anatomen Hermann Stieve, der an völlig neuartigem, furchtbarem „Untersuchungsmaterial“ – den Körpern der in Plötzensee hingerichteten Widerstandskämpferinnen – die Fragen der Ovulation, der nervalen Beteiligung und der Menstruation diskutierte [16], [17], [18].

In Prag war Knaus nicht nur wissenschaftlich und gesundheitspolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch aktiv. So wurde er nach seinem Beitritt zur NSDAP zum Dekan der Fakultät (1939–1941) gewählt [19]. Der Skandal um den Berliner Chirurgen Strauss, der per Oktroi zum Ordinarius für Chirurgie der Prager Fakultät ernannt wurde [20], führte zu massiven Angriffen seitens Robert Ley (1890–1945, Reichsleiter der NSDAP) und Leonardo Conti (1900–1945, SS-Gruppenführer und Reichsgesundheitsführer) auf Knaus, der ein Gutachten gegen Strauss verfasst hatte. In dieser Sache erhielt Knaus offenbar Unterstützung von Reinhard Heydrich (1904–1942, SS-Obergruppenführer, damals stellv. Reichsprotektor für Böhmen und Mähren), Max de Crinis (1889–1945, Psychiater, Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung) und Bernhard Rust (1883–1945, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung). Knaus blieb bis zur Auflösung der Deutschen Universität Prag vor Ort [21]. Nach dem Krieg stand Knaus auf Berufungslisten der Universitäten Graz und Erlangen (1945), der Berliner Charité und der Martin-Luther-Universität Halle (1949) sowie der Universität Gießen und – wohl primo et unico loco – der Universität Bern (1950). Zwischenzeitlich verbrachte er 1948 einige Zeit als Gastprofessor an der Universität London. Die Erlanger Berufungsliste wurde aufgrund einer Beschwerde von der Fakultät zurückgezogen, auf der Knaus ad primo loco stand. Scheinbar gibt es hier einen Zusammenhang zu den Prager Aktivitäten von Knaus [22]. Letztlich übernahm Knaus 1950 die Leitung der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses Wien-Lainz. Hier wirkte er bis zu seiner Emeritierung unermüdlich an seiner Lehre arbeitend und schrieb in seinen erfolgreichen populärwissenschaftlichen Werken: „… Wenn einmal alle jungen Menschen in der westlichen Welt meine Lehre kennen und in ihrem Geist erzogen werden, wird sich durch die beschränkte Zahl der nunmehr gewünschten Kinder eine optimale Bevölkerungsdichte im privaten und damit auch im staatlichen Haushalte einstellen. Die weißen Menschen, die seit langem den Ruf der Selbstbeherrschung und der Disziplin genießen, haben nun die große Aufgabe, der farbigen Welt ein nachahmenswertes Beispiel zu geben, wie es möglich ist, ohne den Aufwand von chemischen oder mechanischen Mitteln sowie von Hormonen (Pille) ein ganz natürliches Geschlechtsleben zu führen und dennoch ihre Vermehrung bewusst zu steuern. Mit diesem Vorbild können Sie einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Befriedung und Befriedigung der zum Leben notwendigen Bedürfnisse aller Menschen leisten …“ [13].

 
  • Literatur

  • 1 Knaus H. Die periodische Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes. Der Weg zur natürlichen Geburtenregelung. Wien: Wilhelm Maudrich; 1934
  • 2 Knaus H. Die periodische Frucht- und Unfruchtbarkeit des Weibes. Zbl Gynäkol 1933; 57: 1393-1408
  • 3 Koerting W. Die deutsche Universität in Prag. Die letzten hundert Jahre ihrer Medizinischen Fakultät. Schriftenreihe der BÄK 1968; 205-226
  • 4 Schaller A. Die Wertheim-Klinik. Wien: Wilhelm Maudrich; 1992
  • 5 Online: http://www.librarything.com/author/knaushermann Stand: 07.12.2014
  • 6 Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Online: http://extern.peoplecheck.de Stand: 07.12.2014
  • 7 Eulner HH. Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Stuttgart: Ferdinand Enke; 1970: 571ff
  • 8 Ebert AD, Namal A. Wilhelm Gustav Liepmann (1878 – 1939) – Vertreibung vom ersten Lehrstuhl für Soziale Gynäkologie an der Berliner Universität ins Exil an die Universität Istanbul. In: David M, Ebert AD, Hrsg. Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. Berlin: de Gruyter; 2010: 245-246
  • 9 Knaus H. Eine neue Methode zur Bestimmung des Ovulationstermines. Zbl Gynäkol 1929; 53: 2193-2203
  • 10 Knaus H. Zur Bestimmung des Ovulationstermines an der menschlichen Gebärmutter in situ. Zbl Gynäkol 1932; 56: 710-720
  • 11 Knaus H. Grundsätzliches zur Frage der Ovulation. Zbl Gynäkol 1942; 66: 1650-1666
  • 12 Knaus H. Physiologie des Eies und der Samenzelle, Periodizität des menstruellen Zyklus, Ovulations- und Konzeptionstermin. In: Seitz L, Halban J, Hrsg. Biologie und Pathologie des Weibes. Berlin: Harald Fischer; 1955: 390-452
  • 13 Knaus H. Die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage der Frau und deren richtige Berechnung. München: Wilhelm Goldmann; 1966: 1-18
  • 14 Ogino K. Ovulationstermin und Konzeptionstermin. Zbl Gynäkol 1930; 54: 464-479
  • 15 Ruge C. Berichte aus gynäkologischen Gesellschaften: Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Berlin. Sitzung vom 4. Dezember 1942. Zbl Gynäkol 1943; 67: 750-759
  • 16 Stieve H. Der Einfluß der Angst und psychischer Erregung auf Bau und Funktion der weiblichen Geschlechtsorgane. Zbl Gynäkol 1942; 66: 1698-1708
  • 17 Stieve H. Weitere Tatsachen zur Klärung der Frage: Wann wird das Ei aus dem Eierstock ausgestoßen?. Zbl Gynäkol 1943; 67: 58-77
  • 18 Schröder R. Kritische Bemerkungen zum Thema „Menstruation und Ovulation“. Zbl Gynäkol 1943; 67: 763-781
  • 19 Klee E. Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2.. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag; 2005: 319
  • 20 Forßmann W. Selbstversuch. Landsberg am Lech: ecomed Verlagsgesellschaft AG & Co. KG; 2002: 201-213
  • 21 Online: http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Knaus Stand: 08.12.2014
  • 22 Persönliche Mitteilung von PD Dr. Wolfgang Frobenius (Erlangen) vom 05.12.2014.