Klin Padiatr 2014; 226(06/07): 305-306
DOI: 10.1055/s-0034-1395596
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

GPOH-Editorial

Zum 50. Publikations-Jubiläum der GPOH-Halbjahrestagung in der Klinischen Pädiatrie
A. Eggert
,
Vorsitzende der GPOH
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Publication History

Publication Date:
28 November 2014 (online)

Mit dieser Ausgabe der Klinischen Pädiatrie dürfen wir das 50. Publikations-Jubiläum von Veröffentlichungen zu neuen Erkenntnissen der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie feiern, die auf der jeweils vorausgegangenen GPOH-Halbjahrestagung berichtet und diskutiert wurden. Dies ist ein guter Anlass, die bereits gelösten klinischen Probleme, aber auch die zukünftigen Herausforderungen unseres Fachgebiets kurz zu reflektieren.

Dank der engen Zusammenarbeit von behandelnden Ärzten und Wissenschaftlern in den letzten 50 Jahren gehört der Kampf gegen Krebs bei Kindern zu den großen Erfolgsgeschichten der Medizin. In den Industrienationen überleben heute fast 80% aller Kinder und Jugendlichen mit malignen Erkrankungen. In Europa werden mittlerweile fast alle Kinder und Jugendliche mit onkologischen Erkrankungen in über 250 spezialisierten Zentren im Rahmen europaweiter oder nationaler, akademisch initiierter und geleiteter klinischer Studien behandelt. Diese Studien dienen der Standardisierung von Therapieoptionen und deren Optimierung. Die weitere Verbesserung der Behandlungsergebnisse wird dabei seit Jahrzehnten durch Diagnostik und Therapie nach dem besten Stand des Wissens und auf der Grundlage der Erkenntnisse vorangegangener Studien erzielt. Es geht hierbei in der Regel nicht um die Zulassung von neuen Medikamenten, wie es bei den Studien der Pharmaindustrie der Fall ist. Die Kinderonkologie ist ein erfolgreiches Beispiel dafür, wie durch die konsequente und möglichst komplette Erfassung aller Erkrankungsdaten sowie durch ein einheitliches, multizentrisches, evidenzbasiertes Vorgehen Erfahrungen in der Therapieoptimierung gewonnen werden und dadurch die Prognose kontinuierlich verbessert werden kann.

Der Preis des Therapieerfolges ist jedoch noch immer sehr hoch: lebensbedrohliche akute Nebenwirkungen und gravierende Spätfolgen, die mit der Behandlung einhergehen können, erfordern weiterhin unsere Aufmerksamkeit. Insbesondere die Spätfolgen nach Chemotherapie und Bestrahlung (Zweitmalignome, Toxizität an Herz, Nieren oder Leber, Hormonstörungen, Hörverlust usw.) geben Anlass zur Sorge und zum Umdenken. Bei 2 von 3 Überlebenden kommt es zu therapiebedürftigen Spätfolgen, bei etwa einem Drittel kann deren Ausmaß als schwer eingestuft werden. Regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen zum Ausschluss eines Rezidivs oder möglicher Spätfolgen werden in den erstbehandelnden Kinderkliniken auf hohem Niveau angeboten. Im jungen Erwachsenenalter wird dieses Konzept bislang allerdings nicht strukturiert weiterverfolgt und wird darüber hinaus den psychischen und physischen Bedürfnissen der Patienten oft nicht mehr gerecht. Um die Versorgung der wachsenden Gruppe von Überlebenden einer kindlichen Krebserkrankung (z.Z. bereits>30 000 Erwachsene in Deutschland) sicherzustellen, werden strukturierte interdisziplinäre Nachsorgesprechstunden benötigt, in denen pädiatrische Onkologen eng mit Internisten und anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Für jeden Patienten sollen hier individuelle, risikoadaptierte Nachsorgepläne basierend auf den bereits existierenden Nachsorgeempfehlungen erstellt und so eine Früherkennung möglicher Spätfolgen sichergestellt werden. Der Erhalt von Gesundheit und Lebensqualität nach der Behandlung von Krebs in allen Altersstufen wird zukünftig für die Gesellschaft nicht nur einen sozialen, sondern auch einen wirtschaftlichen Faktor darstellen.

Abgesehen von der Versorgungslücke der strukturierten Nachsorgesprechstunden im Erwachsenenalter und der entsprechenden Transition in diese, fallen Adoleszente und junge Erwachsene in der Akuttherapie in eine Kompetenzlücke zwischen Kinder- und Erwachsenenonkologie. Ihre altersspezifischen Belange und Bedürfnisse kommen häufig in der stationären und ambulanten Versorgung unzureichend zur Geltung. Die Vernetzung mit anderen Disziplinen bei der Betreuung jugendlicher Patienten mit Malignomen, die typischerweise ältere Patienten betreffen, stellt ebenso eine Herausforderung dar wie die Einbindung der pädiatrischen Onkologie bei jungen Erwachsenen mit typischen „pädiatrischen Malignomen“. Diesen Themenfeldern widmet sich eine neu gegründete multiprofessionelle Arbeitsgemeinschaft der GPOH unter dem Namen AjET (Adoleszente und junge Erwachsene in der Transition) unter Federführung von Prof. Uta Dirksen, Münster, und Prof. Stefan Bielack, Stuttgart. Neben der Weiterentwicklung der Strukturen für diese Patientenaltersgruppe innerhalb der GPOH gilt das Augenmerk dabei der Vernetzung mit der Erwachsenen- und Organmedizin und internationalen Partnern sowie der Einbindung der Betroffenen.

Ein weiteres, wenn nicht das wichtigste Problem der pädiatrischen Onkologie besteht darin, dass die Möglichkeiten der klassischen 3-Säulen Therapie (Chirurgie, Chemotherapie und Strahlentherapie) ausgeschöpft zu sein scheinen, da die Heilungsraten bei den meisten kindlichen Krebserkrankungen trotz Intensivierung der Therapie stagnieren. In den letzten Jahren ist das Wissen über die molekularen Ursachen von Krebserkrankungen sprunghaft gestiegen. Diese neuen Erkenntnisse ebnen den Weg für präzise Diagnosen und individuelle, für jeden Patienten maßgeschneiderte Behandlungsansätze. Immer wichtiger werden in diesen Forschungsansätzen auch computergestützte, bioinformatische Verfahren und eine umfassende systemmedizinische Betrachtungsweise, durch die nicht nur ein besseres Verständnis der Pathogenese von Krebserkrankungen ermöglicht wird, sondern auch vielversprechende Ansatzpunkte für molekular gezielte neue Therapien aufgezeigt werden können. Dabei ist es von wesentlicher Bedeutung, den Blick nicht nur auf die Tumorzellen selbst, sondern auch auf die Mikroumgebung zu richten und die Wechselwirkungen zwischen Krebszellen und umgebenden normalen Gewebezellen zu verstehen.

Art und Häufigkeit der einzelnen Tumorentitäten, aber auch ihre molekularen Eigenschaften, unterscheiden sich bei Kindern und Erwachsenen sehr. So sind bspw. Karzinome im Kindes- und Jugendalter außerordentlich selten (1%), während sie bei Erwachsenen mehr als 90% der Neuerkrankungen ausmachen. Daher lassen sich Erkenntnisse aus der Erwachsenen-Onkologie oft nur wenig auf die pädiatrische Onkologie übertragen. Auch neue Medikamente, die vorwiegend für Karzinome des Erwachsenenalters entwickelt wurden, sind aufgrund ihrer oft begrenzten Wirksamkeit für die Therapie bei Kindern nicht immer optimal geeignet. Daher ist eine gezielte Krebsforschung für Kinder, die sich mit den besonderen molekularen Charakteristika kindlicher Krebserkrankungen beschäftigt, unerlässlich.

Das drängendste Problem in der Kinderonkologie sind heute Rückfälle nach einer intensiven Chemo- oder Strahlentherapie. Das betrifft in Deutschland jedes Jahr etwa 500 krebskranke Kinder. Zum Zeitpunkt des Rückfalls sind die wirksamen Therapien oft schon weitgehend ausgereizt. Bislang gibt es nur für wenige Krebsarten eine gute zweite Chance auf dauerhafte Heilung. Die neuen molekular gezielten Medikamente richten sich gegen ganz spezifische tumortypische Zellveränderungen. Die Analyse aller Gene und zukünftig auch aller Proteine in den Tumorzellen eröffnet die Möglichkeit, individuell für jeden Tumor die passenden Medikamente auszuwählen und den betroffenen Kindern eine zweite Chance zu eröffnen.

Ziel eines neuen deutschlandweiten Projektes unter dem Namen „INFORM“ unter der Federführung des DKFZ Heidelberg und aktiver Beteiligung der GPOH-Studienzentren ist es, molekulare Profile bei möglichst allen Rezidiven der 10 häufigsten Tumorentitäten zu erstellen, auf der Basis der resultierenden Daten neue molekular gezielte Medikamente maßgeschneidert auszuwählen und die Kinder dann in passenden frühen klinischen Studien (sogenannte „Basket-Trials“) Biomarker-selektiert zu behandeln. Um eine solche individualisierte Diagnostik und Therapie für krebskranke Kinder mit Rezidiverkrankung in den kommenden Jahren optimal umsetzen zu können, ist der Aufbau von Kompetenzzentren mit ausgezeichneter Infrastruktur für die molekulare Charakterisierung und für die Durchführung früher klinischer Studien erforderlich. Wir hoffen, dass wir damit auf einem guten Weg sind, spätestens beim 100. Publikations-Jubiläum auf eine Heilungsrate nahe 100% blicken zu dürfen.