Neonatologie Scan 2015; 04(02): 93
DOI: 10.1055/s-0034-1392242
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Braucht die Neonatologie den Spezialisten oder den Generalisten?

Axel Huebler
,
Gerhard Jorch
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Publication Date:
11 June 2015 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Besonderheit und der Anspruch der nicht-chirurgischen Kindermedizin liegen darin, dass trotz zunehmender Spezialisierung das gesamte Diagnosespektrum behandelt wird. In der Erwachsenenmedizin teilen sich 10 verschiedene Fachärzte der Inneren Medizin und Neurologie diese Aufgabe. Aber natürlich wird bei Kindern, insbesondere am Lebensanfang während der neonatologischen Betreuung, spezialisierte Kompetenz aus vielen Bereichen benötigt. Die Titelthemen und Fortbildungsartikel dieser Ausgabe machen das deutlich.

Die Darstellung der kritischen Herzfehler beim Neugeborenen von M. Böhne, T. Jack, H. Köditz und P. Beerbaum im Fortbildungsteil dieser Ausgabe zeigt, dass das Wissen um die beste Behandlung bei jedem einzelnen Herzfehler dermaßen angewachsen ist, dass hochspezialisierte Kompetenz erforderlich ist, wenn alle heute verfügbaren Chancen genutzt werden sollen. Umso beeindruckender ist es, dass es den kinderkardiologischen Autoren gelingt, aus der Pathophysiologie Kernaussagen in wenigen Sätzen zu formulieren, die uns Neonatologen befähigen, die erforderlichen Erstmaßnahmen einzuleiten und die richtigen Weichen zu stellen.

Die zweite Übersichtsarbeit von der Augenärztin I. Oberacher-Velten und dem Neonatologen H. Segerer zeigt den rasanten Kenntnisgewinn bei der Prävention und Therapie der Retinopathia praematurorum auf. Pathophysiologischer Dreh- und Angelpunkt sind bei dieser Erkrankung der retinale Sauerstoffgehalt und der die retinale Gefäßbildung steuernde Gewebefaktor VEGF. Die intraokuläre Injektion von VEGF-Antikörpern hat sich nach den vorliegenden Erkenntnissen als zukunftsträchtiger Weg erwiesen, die Gefäßaussprossung zu beeinflussen, und somit die nekrotisierende Behandlung von Retinagewebe durch Kälte- oder Laseranwendung zu erübrigen.

Auf der Titelseite weisen wir auf die Publikation von Leuchter et al. in JAMA 2014 hin. Wie unsere Fachkommentatoren I. Krägeloh-Mann (Tübingen) und C. Dame (Berlin) ausführen, sind die Ergebnisse der Studie zur neuroprotektiven Wirkung von Erythropoetin vielversprechend. Ebenfalls heraushebenswert erschien uns die Publikation von Zecca et al. im Journal of Pediatrics über die proaktive enterale Ernährung bei Frühgeborenen über 32 SSW. N. Haiden (Wien) und S. Bagci (Bonn) bewerteten für uns eine Arbeit von Goyal et al. zum Stillverhalten bei weniger unreifen Frühgeborenen und weisen dabei auf Reserven hin, die wir in der täglichen Arbeit bei der Laktationsberatung für die Mütter dieser Patientenpopulation immer noch haben. Nicht zuletzt prüften S. Schilling (Chemnitz) und M. Zemlin (Marburg) die klinische Bedeutung der Beobachtung von Ponnusamy et al. zum Zusammenhang zwischen Hautbesiedlung und Infektionen zentralvenöser Katheter mit dem Hinweis an uns, dass strenge Indikationsstellung und Hygiene zwar nicht alles, aber weiterhin fast alles sind, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Wir wünschen unseren Lesern eine anregende Lektüre dieser Ausgabe von Neonatologie Scan. Diejenigen unter Ihnen, die die 41. GNPI-Jahrestagung in Stuttgart besucht haben, mögen motiviert sein, inhaltliche Schnittmengen mit dem Tagungsprogramm zu identifizieren und somit vertieft nachzuarbeiten.

Es wird – zurückkommend auf den Titel dieses Editorials – klar werden, dass wir nicht umhin können, uns einerseits über die neuen Erkenntnisse aus speziellen Bereichen der Neonatologie zu informieren, andererseits aber diese Neuerungen in die von uns zu verantwortende Gesamtbehandlung einordnen müssen.

Ihre Herausgeber

PD Dr. med. Axel Hübler
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Chemnitz gGmbH

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch
Direktor der Universitätskinderklinik Magdeburg

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