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DOI: 10.1055/s-0034-1391442
Muttermilch für Frühchen – alter Zopf, Modetrend oder innovative Strategie?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
06. März 2015 (online)
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
als im Jahre 1919 die erste Frauenmilchsammelstelle Deutschlands in Magdeburg eingerichtet wurde, ging es darum, Krankheit und Tod durch Unter- und Fehlernährung bei jungen Säuglingen zu bekämpfen. Angesichts der breiten Palette industriell verfügbarer hochwertiger Milchprodukte auf Kuhmilchbasis ist dieser Ansatz schon lange kein Thema mehr – mindestens in hochentwickelten Ländern.
Unsere Themen heute sind: Bekämpfung von Krankenhausinfektionen, Stärkung der Angehörigenbindung und Entwicklungsförderung. Lange wurden als wesentliche Mittel gegen Infektionen Antibiotika angesehen. Auftretende Resistenzen waren ein willkommener Grund, bessere Antibiotika zu entwickeln. Diese Strategie ist an ihre Grenzen gestoßen. Der pharmakologische Fortschritt scheint das Rennen gegen die natürliche Resistenzentwicklung nach den biologischen Gesetzen der Evolution zu verlieren. Dies begründete eine Renaissance der Krankenhaushygiene mit Infektionssurveillance, regelmäßigen Abstrichen, vorgeschriebenen Arbeits- und Kommunikationsregeln bis hin zur Interaktion mit den öffentlichen Medien. Inwieweit diese Strategie allein reichen wird, ist derzeit mindestens fraglich. Damit rückt zwangsläufig die dritte Strategie zur Senkung der Infektionsrisiken in den Vordergrund, nämlich die Optimierung der Behandlungsmethoden in Richtung noch weniger Invasivität und Stärkung der Vitalität und Immunabwehr unserer Patienten.
Hier können wir von der Muttermilch lernen, die eine Reihe von bekannten und vermutlich auch nicht bekannten Stoffen enthält, die auch den unreifen Organismus bei seinem Kampf gegen allgegenwärtige Krankheitserreger unterstützen. Bei diesem Lernen geht es darum, diese Stoffe und Prinzipien zu identifizieren und vielleicht in Zukunft gezielt zu substituieren.
Vorläufig haben wir die Möglichkeit, die Milch von Müttern den eigenen oder als Spendermilch sogar anderen frühgeborenen Kindern zu geben. Dabei sind aus infektiologischen und immunologischen Gründen allerdings Regeln zu beachten, die fast an an die Regeln für die Gabe von Blutprodukten heranreichen und diese Ernährungsform sehr teuer machen − jedenfalls teurer als die Gabe industrieller Spezialmilch. Wenn allerdings dadurch Infektionen mit ihren Folgen verhindert werden, ist dieser Aufwand gerechtfertigt. Studien zur Quantifizierung dieses Effekts stehen aber noch aus.
Wir haben dennoch das Thema Frauenmilchbank im Fortbildungsteil dieses Heftes aufgegriffen, um zu beschreiben, wie nach dem derzeitigen Kenntnisstand eine Frauenmilchbank betrieben werden kann. Wissenschaftliche Kreativität, Arbeit und Fortschritt basieren erfahrungsgemäß auf im klinischen Alltag gemachten Erfahrungen. Jedenfalls zeigt die Entwicklung des Fachgebiets Neonatologie in den letzten Jahrzehnten, dass Alltagserfahrungen den notwendigen Bestätigungen durch wissenschaftliche Studien nicht selten voraneilten.
Eine interessante und unterhaltsame Lektüre der ersten Ausgabe von Neonatologie Scan im Jahr 2015 wünschen Ihnen
Ihre Herausgeber
PD Dr. med. Axel Hübler
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Chemnitz gGmbH
Prof. Dr. med. Gerhard Jorch
Direktor der Universitätskinderklinik Magdeburg