Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2014; 24 - A33
DOI: 10.1055/s-0034-1389681

Probleme vorliegender Literaturübersichten zur Effektivitätsbewertung physikalischer Therapien sowie Ideen zu realitätsnahen Bewertungsansätzen

R Crevenna 1, M Keilani 1
  • 1Univ. Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Medizinische Universität Wien, Wien

Fragestellung: Die Applikation physikalischer Modalitäten kann – fachkundig rezeptiert – über eine Verminderung von Symptomen (wie Schmerz, Muskelschwäche etc.) zu einer Funktionsverbesserung insbesondere der Mobilität und eigenständigen Aktivität unserer Patienten führen. Das Studium mancher Literaturübersichten zur Effektivitätsbewertung physikalischer Therapien lässt den Leser in Verunsicherung zurück.

Methodik: Durchsicht und Bewertung vorliegender Literaturübersichten zur Effektivitätsbewertung physikalischer Therapien sowie Entwicklung von alternativen, realitätsnahen Bewertungsansätzen.

Ergebnisse: Bei der Durchsicht vorliegender Literaturübersichten, die eine Effektivitätsbewertung physikalischer Therapien nach EBM-Kriterien versuchen, fällt auf, dass die Ergebnisse nur sehr kritisch und besonders vorsichtig interpretiert werden sollten, was an der meist mangelhaften Methodik (aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas) liegt. Methodisch werden die für die Pharmakotherapie sehr gut passenden im Rahmen der EBM geltenden Nachweiskriterien der Untersuchung und Bewertung physikalischer Modalitäten und Therapien nicht gerecht. Bei einer wissenschaftlich nachvollziehbaren, systematischen Bewertung der Literatur in Bezug auf PM&R-Modalitäten spielen nämlich methodisch zusätzlich u.a. folgende Aspekte eine wesentliche Rolle, die eine entsprechende Beforschung erschweren: bis dato ungelöste Fragen der Dosisstandardisierung, die Großteils unmögliche Verblindung und der damit fehlende Placebovergleich, Aspekte der individuellen Reizempfänglichkeit, das Vorhandensein von einerseits Monotherapien oder andererseits – wie meistens – von Mehrfachtherapien in unterschiedlichsten Kombinationen, eine unterschiedliche Anzahl der jeweiligen Therapien pro Serie, eine unterschiedliche Anzahl der Therapieserien, eine unterschiedliche Intensität, Dauer, Frequenz und Dynamik der Applikationen der jeweiligen Therapien pro Sitzung, die hohe Anzahl der behandelten Krankheitsentitäten bzw. -stadien sowie die vielen möglichen Behandlungslokalisationen etc.

Für die Pharmakotherapie im Rahmen der EBM geltende Nachweiskriterien sind daher zur Beschreibung des Wirkungsgrades physikalischer Modalitäten bestenfalls suboptimal geeignet und sollten, da sie auch in Zukunft nur schwierig zu bewältigende Problemstellungen beinhalten, zur rationalen Bewertung der Effektivität und Effizienz physikalischer Modalitäten modifiziert und der Fragestellung entsprechend adaptiert werden.

Wenn es zu einer Fragestellung im Moment keine höchstwertig publizierten Studien gibt, kann dennoch nicht eins zu eins daraus geschlossen werden, dass keine Evidenz für die Wirksamkeit besteht. Hier wird wohl – bis zum Vorliegen aus der Sicht der EBM höchstwertiger Studien – auf ein niedrigeres Evidenzniveau auszuweichen zu sein.

Was besonders wichtig ist, ist die Beachtung der klinischen Relevanz. Eine objektive Kosten-Nutzen-Bewertung sollte das vergleichsweise geringe Nebenwirkungsprofil von physikalischen Modalitäten berücksichtigen. Eine entsprechende Definition und Erfassung von Funktionsverbesserungen als Zielparameter ist unerlässlich.

Die oft bestehenden Begleittherapien und Begleiterkrankungen unserer Patienten müssen in der Bewertung physikalischer Modalitäten unbedingt berücksichtigt werden, denn viele multimorbide oder schwerwiegend erkrankte Patientinnen und Patienten profitieren gerade durch die Möglichkeiten analgesierender und muskeldetonisierender sowie auch kräftigender und damit letztlich mobilisierender Modalitäten.

Schlussfolgerungen: Für die Zukunft sind möglichst hochwertige systematische Aufarbeitungen, die u.a. die genannten Besonderheiten beachten, zu fordern. Suchstrategie, Schlüsselwörter, Ein- und Ausschlusskriterien und insbesondere die Aus- und Bewertungskriterien müssen adäquat, d.h. wissenschaftlich plausibel und für klinisch tätige Ärzte auch pragmatisch und in der täglichen Routine gut nachvollziehbar, gewählt werden.