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DOI: 10.1055/s-0034-1386885
Das Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz – Prävention aus medienwissenschaftlicher Perspektive
Kein gesellschaftlicher Bereich ist von den digitalen Technologien derart verändert worden wie die Arbeitswelt. Wer sich an seinen Berufsalltag vor 20 Jahren zurückerinnert, hat diese Entwicklung selbst erfahren. Dabei bildet die Art und Weise, wie in Unternehmen mit digitalen Medien umgegangen wird, immer auch – wie in einem Brennglas – die gesamte Unternehmenskultur ab. Wie respektvoll und ressourcenschonend ist der Umgang miteinander? Wie viel Verantwortung dürfen Mitarbeiter übernehmen? Wie entscheidungsfreudig sind Teams? Wie ausgeprägt ist die Präsenzkultur? Dies alles bildet sich unmittelbar in der Art ab, wie E-Mails geschrieben werden (zu welchem Zeitpunkt, wie oft, an wie viele in cc). Die Unternehmenskultur prägt die Verwendung von Diensthandys, Erwartungen an Erreichbarkeit und Vertretungsregelungen. Im Umkehrschluss eignet sich das mediale Klima hervorragend als Ansatzpunkt für eine Intervention. Ein leistungsstarkes, verantwortliches mediales Umfeld wirkt sich direkt positiv auf Unternehmenskultur und Produktivität aus. Dreh- und Angelpunkt sind dabei die Führungskräfte. In ihren Händen und in ihrer Verantwortung liegt es, die Rahmenbedingungen für ein gesunderhaltendes mediales Miteinander zu setzen, in dem die einzelnen Mitarbeiter verantwortlich handeln und agieren können. Die in den aktuellen Studien der Krankenkassen dokumentierte Zunahme an langen Ausfallzeiten wegen burnout-assoziierten Krankheiten zeigen, dass diese Aufgabe immer schwieriger wird. Das von Sabria David auf Basis des weltweit rezipierten Slow-Media-Ansatzes entwickelte Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz (IDA) verbindet Verhaltens- und Verhältnisprävention und ist wissenschaftliche Basis für den in Kooperation mit TÜV Rheinland entwickelten Standard zum Digitalen Arbeitsschutz. Es bezieht als systemischer Ansatz unternehmensinterne Dynamiken und Wechselwirkungen ein und definiert Rahmenbedingungen für betriebliche Gesundheitsförderung.
Der Slow Media Ansatz ist ein theoretisches Modell, das die Wirkmechanismen des digitalen Wandels beschreibt und auf zugrundeliegende gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse zurückführt. Ursprung dieses Ansatzes ist das von Jörg Blumtritt, Sabria David und Benedikt Köhler publizierte und in zahlreiche Sprachen übersetzte Slow Media Manifest (http://www.slow-media.net/manifest), das medienübergreifende Qualitätskriterien für Medien, Journalismus und Kommunikation der Zukunft entwickelte. Der Slow Media Ansatz formuliert einen dritten Weg zwischen Alarmismus und Apologetik im Diskurs über digitale Medien. Er bejaht die technologischen Möglichkeiten und propagiert ihre bewusste und verantwortliche Nutzung, auch die ihrer Schnelligkeit. Das Slow Media Manifest markiert einen bevorstehenden und notwendigen qualitativen Wechsel nach den rasanten technologischen Entwicklungen im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends. Die Präambel formuliert diese Wende als einen notwendigen Prozess der Transformation und Integration: „Im zweiten Jahrzehnt wird es weniger darum gehen, neue Technologien zu finden, die das Produzieren von Inhalten noch leichter, schneller und kostengünstiger gestalten. Stattdessen wird es darum gehen, angemessene Reaktionen auf diese Medienrevolution zu entwickeln – sie politisch, kulturell und gesellschaftlich zu integrieren und konstruktiv zu nutzen“. Eine zukunftsfähige Gesellschaft steht in der Verantwortung, sich die immensen Potentiale der digitalen Technologien zunutze zu machen und sich mit den Auswirkungen digitaler Mediennutzung vorurteilsfrei und konstruktiv zu befassen.